AM MAY-AYIM-UFER : Keine Rücksicht
Montags ist es am Schlesischen Tor am schlimmsten. Ich mag die Gegend, aber auch wenn die Abendsonne versucht, dem Szenario zu schmeicheln, es ist furchtbar. Nach jedem Wochenende sieht es aus, als hätte die Müllabfuhr versehentlich hier abgeladen. Die Gehwege sind mit weißen und grünen Glasscherben gepflastert – was die Vorfreude auf den abendlichen Spaziergang mit dem Hund schon schmälert, bevor wir überhaupt losgegangen sind. Richtung May-Ayim-Ufer liegen Flaschen, Servietten, Papiertüten und Burgerschachteln in den Wiesen. Schuhe. Kondome. Kleine Plastikbeutel. Irgendeine Parkbank ist immer aus dem Kopfsteinpflaster gerissen. Jede Woche frage ich mich von Samstag bis Mittwoch – so lange dauert es, bis der gröbste Dreck weg ist –, ob die das zu Hause auch so machen? Die leeren Flaschen einfach gegen die nächste Wand schleudern. Klar, warum nicht. Rücksicht wird am Schlesi schon aus Prinzip nicht genommen.
Um den mit Stadtplan und Primark-Tüte verwirrt rumstehenden Menschen und auch den grölenden Biertouristen vor der Tür gar nicht erst zu begegnen, verlasse ich das Haus gern durch den Hintereingang. Ich gehe also mit Hund durch den Innenhof, öffne die blaue Holztür zum Hausflur und sehe einen Mann um die sechzig bei den Briefkästen stehen, er hat weißes Haar und trägt ein hellblaues Hemd. Ich grüße ihn reflexartig und er sagt: „Oh, das tut mir jetzt sehr leid.“
Da sehe ich erst, dass er mit der linken Hand am Briefkasten lehnt, in der rechten seinen Penis hält und gerade fröhlich in den Papierkorb auf einige Prospekte strullert. Dass es ein Gitterkorb ist und sein Urin in alle Richtungen spritzt, scheint ihn nicht zu stören. Ich verlasse schimpfend das Haus, als meine Freundin J. anruft. „Berlin ist ein einziges Drecksloch“, sage ich zur Begrüßung. „Ja, ich weiß“ sagt sie, ohne nachzufragen. SASKIA HÖDL