: „Der gleiche Fehler wie bei Lafontaine“
„Die Gegenfinanzierung ist nicht geklärt“: Steuerexperte Jarass kritisiert, die Reform belaste den Mittelstand
LORENZ JARASS, Jahrgang 1951, ist Wirtschaftsprofessor an der FH Wiesbaden.
taz: Herr Jarass, das Finanzministerium geht bei der Unternehmensteuerreform von einer Finanzierungslücke von 6 Milliarden Euro aus. Ist das realistisch?
Lorenz Jarass: Das ist ein Witz. Schon die 8,5 Milliarden, von denen Steinbrück zwischenzeitlich ausgegangen ist, waren eine Luftnummer. Nun ist die Gegenfinanzierung weiter aufgeweicht worden, aber trotzdem soll es nur noch 6 Milliarden kosten. Das hat mit der Realität überhaupt nichts mehr zu tun.
Wie viel wird es denn Ihrer Meinung nach kosten?
Wir sind in unseren Berechnungen auf 12 bis 14 Milliarden Euro Steuerausfall im Jahr gekommen.
Was ist schiefgegangen?
Die ursprüngliche Idee der Reform – niedrigere Steuersätze, aber dafür eine breitere Bemessungsgrundlage – war richtig. Schließlich macht es keinen Sinn, dass wir im Vergleich zu unseren Wettbewerbern bei Unternehmenssteuern die höchsten nominalen Sätze, aber gleichzeitig das niedrigste reale Aufkommen haben. Aber Steinbrück hat den gleichen politischen Fehler gemacht wie Lafontaine im Jahr 1999: Die Senkung der Steuersätze wurde politisch festgeklopft, die strukturellen Änderungen und die Gegenfinanzierung hingegen nicht. Das Ergebnis ist entsprechend.
Warum hat man aus den Fehlern nichts gelernt?
Durch massive Lobbyarbeit ist das ursprüngliche Konzept zu einem Torso zerschossen worden. Gerade von den sinnvollen Regeln, mit denen Kapitalverschiebung ins Ausland unterbunden werden sollte, ist fast nichts übriggeblieben. Beispielsweise können Zinsaufwendungen für Investitionen im Ausland weiterhin von der Steuer abgesetzt werden, während die dort erzielten Gewinne nicht besteuert werden. So wird Arbeitsplatzverlagerung weiterhin steuerlich subventioniert. Die geplante „Zinsschranke“ ist zu einem zahnlosen Tiger geworden. Betroffen sind höchstens noch mittelgroße inländische Firmen – und Steuerberater, für die das ein Beschäftigungsprogramm ist.
Profitiert die Wirtschaft denn wenigstens von dem Milliardengeschenk?
Nur zu einem kleinen Teil. Gerade die Mittelständler sollten ja durch die Steuerreform eigentlich mehr Eigenkapital bekommen. Stattdessen werden sie jetzt gezwungen, auch den letzten Tropfen Eigenkapital aus dem Unternehmen rauszuziehen, weil Kreditfinanzierung steuerlich noch stärker privilegiert wird als zuvor. Auch die veränderten Abschreibungsbedingungen treffen vor allem Unternehmen, die viel investieren. Zudem ist diese Form der Gegenfinanzierung unsinnig, denn sie führt nicht tatsächlich zu Mehreinnahmen, sondern nur zu einem Vorziehen.
INTERVIEW: MALTE KREUTZFELDT