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Archiv-Artikel

Denunziationsgrund & Karrierehemmnis

Wie lebten homosexuelle Männer in Hamburg unter den Nazis und nach dem Krieg? Über eine Ausstellung und über erstaunlich langlebige Berührungsängste der deutschen Geschichtswissenschaft

VON JAN FEDDERSEN

Hans G. fasste seine Lebensgeschichte in den 70er-Jahren in diesen Worten zusammen: „Nach dem Krieg wagte ich nicht, einen Antrag auf Wiedergutmachung zu stellen. Wir Schwulen wurden ja weiter strafrechtlich verfolgt. Auf gar keinen Fall wollte ich wieder in einem Gefängnis oder Zuchthaus landen.“ Während der NS-Zeit wurde G. seiner Homosexualität wegen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, nach dem Paragrafen 175. Anders als während der Weimarer Republik stellte dieser Paragraf von 1935 an nicht allein gleichgeschlechtliche Sexualität von Männern unter Strafe, sondern wuchs sich, als rechtssystematische Entgrenzung des Deliktgrundes, zu einer einen Generalverdacht gegen schwule Männer stiftenden Klausel aus.

Allein schon die Denunziation durch einen Nachbarn, der meinte, einen „warmen Bruder“ ausgemacht zu haben, konnte zur Festnahme, zur Inhaftierung und zum Zuchthaus führen. Nach der Kapitulation des nationalsozialistischen Regimes 1945 hofften auch Homosexuelle, wegen erlittenen Unrechts rehabilitiert zu werden. Ein Irrtum, ein böses Missverständnis in eigener Sache – die christdemokratisch dominierte Justiz während der Kanzlerschaft Konrad Adenauers mochte in der Verschärfung des Paragrafen 175 kein nationalsozialistisches Unrecht erkennen. Schwule Männer lebten nach dem Krieg unter ähnlichen Verhältnissen wie zwischen 1933 und 1945, nur gab es keine KZs mehr und Kastrationen erfolgten fortan nur noch nach Einwilligung der Betroffenen. Hans G. gab sich schnell keinen Illusionen mehr hin: „Einige Jahre später riet mir ein Bekannter, ich solle heiraten. Dies sei bestimmt die beste Lösung, der beste Schutz. Leider befolgte ich seinen Rat und musste viele unglückliche Jahre erleben.“

Dieser biografische Schnipsel ist in der Ausstellung „Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg“ zu studieren – es ist nur eine unter einer Fülle biografischer Erzählungen und Berichte, die noch recherchiert werden konnten. Dass diese Ausstellung überhaupt zustande kam, ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Wie viele jüdische Deutsche verraten, inhaftiert, deportiert und ermordet wurden, ist weitgehend erforscht, auch die Zahl der politisch Verfolgten liegt nicht mehr im Dunkeln. Die Schmuddelkinder des NS-Terrors aber – neben Homosexuellen Zigeuner, geistig und körperliche behinderte Menschen und sogenannte Asoziale – erobern sich erst in diesen Jahren die Aufmerksamkeit der Geschichtswissenschaft wie auch der bürgerlichen Öffentlichkeit.

Ulf Bollmann und Bernhard Rosenkranz haben die Hamburger Dokumentation vorbereitet – und eine erfreulich große öffentliche Wirkung erzielt, wie die bisherigen Besucherzahlen belegen. Das mutet wie ein Wunder an. Noch in den 90er-Jahren, als alle liberale Welt schon glaubte, Homosexuelles sei doch nun kein Tabu mehr, wurden im Hamburger Staatsarchiv Strafakten zum Schreddern freigegeben – um Platz zu sparen. Unter ihnen fast alle Dokumente aus Ermittlungen und Prozessen gegen Männer wegen des Paragrafen 175. Zur Begründung hieß es, Verfahren nach dem noch bis 1969 gültigen Nazi-Paragrafen seien gegenüber Prozessen aus anderen Verfolgungsgründen so überrepräsentiert, dass man sich von ihnen trennen könne. Ein Teil der Bestände konnte, wenigstens für die Forschung, nach Intervention der Hamburger Bürgerschaft gerettet werden.

Mit den Akten vernichtet wurden auch die Biografien der Opfer: Man wollte mit ihnen offenbar nichts zu tun haben. Zugleich handelte es sich um einen Akt rechtsstaatlich bemäntelter Vertuschung, einen Schutz all jener Richter und Staatsanwälte vor historischer Erforschung, die sich in antihomosexuellen Verfahren besonders eifrig und eifernd hervorgetan hatten. Auf dem Verwaltungsweg wurde nachgeholt, was schon die politischen Opfer – Kommunisten vor allem – bis Anfang der 80er-Jahre versucht hatten: schwule Männer als die Sache des Widerstands entehrende Mitinsassen in Straf- und Arbeitslagern zu entwerten.

Erst wenn man sich in die Texte dieser Ausstellung eingelesen und ihre Bilder genau angeschaut hat, wird deutlich, wie gespenstisch ihr Inhalt ist. Man liest Briefe von „Volksgenossen“, skrupellos den Nachbarn denunzierend, weil der des Nachts einen männlichen Gast hatte. Oder die Geschichte des früheren Präsidenten des Hamburger SV, Emil Martens. Martens, 1886 geboren, war der Motor der Modernisierung dieses Klubs; ihm gelang es, den bis dato durchschnittlichen Verein zu professioneller Extraklasse zu führen. Dass er kein Mann des Widerstands war, sondern NSDAP-Mitglied, nützte ihm gar nichts. 1936 wird er erstmals wegen seiner Homosexualität bestraft und kurz darauf aus der Partei ausgeschlossen. Nach Zuchthaus und Sicherungsverwahrung sowie zwei weiteren Verurteilungen bittet Martens 1942, um dem Konzentrationslager zu entgehen, um Kastration: Diese Amputation erst war dem Regime Beweis, dass es ein Betroffener ernst meinte mit dem Leben in Führers Reich. Denn männliche Homosexuelle galten als „bevölkerungspolitische Blindgänger“ (Heinrich Himmler), vom Trieb her ungeeignet, für Deutschland Nachwuchs zu zeugen. Martens jedenfalls wurde 1944 aus dem Zuchthaus entlassen, er starb 1969 in Hamburg. Der HSV wusste, so beteuern seine Funktionäre, von diesem Schicksal bis in jüngster Zeit nichts. Immerhin zeigte sich der Leiter des Vereinsmuseums auf der Eröffnung der Ausstellung.

Dieses Wörtchen „immerhin“ umreißt auch die besondere Situation der Ehrenamtlichen, die diese Ausstellung möglich machten. Ulf Bollmann, Mitarbeiter des Hamburgischen Staatsarchivs, wie auch Bernhard Rosenkranz, Autor, zählen eben nicht zu einer der geschichtswissenschaftlichen Schulen – aus deren Umfeld auch bislang keine grundlegenden Arbeiten zur nationalsozialistischen Sexualpolitik wie zu den Erbschaften des völkischen Regimes verfasst wurden. Die in New York lehrende Historikerin Dagmar Herzog ist die Einzige ihrer Disziplin, die hierzu präzise und archivsicher gearbeitet hat. Herzog allerdings ist Amerikanerin und somit nicht verpflichtet, auf mögliche Empfindlichkeiten der deutschen Scientific Community Rücksicht zu nehmen. Das (Homo-)Sexuelle historisch zu erforschen war hierzulande bislang noch nie karriereförderlich – ob es sich nun um das Münchner Institut für Zeitgeschichte handelt oder die Bielefelder Historiker um Hans-Ulrich Wehler.

Rosenkranz wie Bollmann haben zudem klugerweise wenig Rücksicht auf Musealität genommen. Ursprünglich war vor Jahren eine ähnliche Ausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte geplant, aber dessen Direktorin sträubte sich, zumal die KuratorInnen gleich die ganze Geschichte zur Aufführung bringen wollten, von der Steinzeit bis zur modernen Homosexuellenbewegung. Nun ist die Ausstellung in der Hamburger Staatsbibliothek zu sehen – und das finden die Ausstellungsmacher ihrer Sache sogar noch dienlicher: Sich dort die Schaukästen, Tafeln und Bilder anzuschauen erfordere keinen Kampf mit irgendeiner Schwellenangst, und es kostet zudem keinen Eintritt wie in einem Museum.

Die Besucherzahlen, Tag für Tag mehrere hundert, geben diesem Kalkül recht. Womöglich spielt auch eine Rolle, dass Bild-Zeitung und andere Springer-Blätter überraschend umfangreich und frei von Berührungsangst berichteten. Zudem nahm Bischöfin Maria Jepsen die Ausstellung gewissermaßen als Schirmherrin in ihre Obhut. Die Geschichte der entrechteten, geächteten, kastrierten und tyrannisierten Homosexuellen ins bürgerliche Publikum zu tragen, zumal im feinen Hamburg, ist möglicherweise der erste Schritt vor anderen, noch bevorstehenden Mühen, die Verfolgung Homosexueller auch in die allgemeine deutsche Geschichte einzuschreiben, nicht länger als märtyrerisch inspiriertes Steckenpferd von Wissenschaftlern, die sich bei der Eroberung des geschichtswissenschaftlichen Mainstreams wie der bürgerlichen Öffentlichkeiten aufreiben. Zeit wäre es: Was die Hamburger Ausstellung en passant unter Beweis stellt, ist der Umstand, dass schwule Männer, die verletzt oder getötet wurden, überall lebten und leben – immer irgendwie in der Nachbarschaft oder der eigenen Familie.

Zur Nahbarkeit des gezeigten Stoffs passt auch, dass die Initiative „Gemeinsam gegen das Vergessen“ sogenannte Stolpersteine für homosexuelle NS-Opfer zu stiften möglich macht. Auffällig ist, dass die meisten der NS-Verfolgten aus armen Verhältnissen stammten: Obdachlose, Jugendliche ohne Zuhause, Heimzöglinge – das, was früher Gesindel geheißen wurde. Zu glauben, irgendein bunter CSD unserer Tage sei die schon immer gültige Lifestyle-Haltung Homosexueller, verkennt das Drama der Verfolgung von schwulen Männern. Sie fiel klassenneutral aus, aber am stärksten waren jene betroffen, die nirgendwo Asyl fanden, schon gar nicht in bourgeoisen Milieus.

JAN FEDDERSEN, Jahrgang 1957, taz.mag-Redakteur, lebte bis 1996 in Hamburg Ausstellung „Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg“. Staats- und Universitätsbibliothek Carl-von-Ossietzky, Von-Melle-Park 3, Hamburg. Bis zum 7. April jeweils Montag bis Freitag 9 bis 21, Sonnabend 10 bis 18, Sonntag 12 bis 18 Uhr. Literatur: Bernhard Rosenkranz, Gottfried Lorenz: „Hamburg auf anderen Wegen. Die Geschichte des schwulen Lebens in der Hansestadt“. Lambda Edition, Hamburg 2006, 384 Seiten, 29,80 Euro. Infos: www.hamburg-auf-anderen-wegen.de