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Archiv-Artikel

Klein Muhas große Reise

Muhammed Demirci gilt als eines der größten Fußballtalente der Türkei. Drei Millionen Euro will der FC Barcelona für den begabten Dribbler von Besiktas Istanbul bezahlen, einen zwölfjährigen Knaben

VON TOBIAS SCHÄCHTER

Und dann führte Muhammed Demirci seine Künste in einer populären Fußball-Talkshow des Senders ATV vor: Demirci, klein und schmächtig, hüpfte vor einem langen Tisch herum, hinter dem fünf alte Männer saßen, die ihm klatschend und lachend beim Jonglieren eines Balles zusahen. „Muha“, wie Demirci mittlerweile stolz in der ganzen Türkei genannt wird, trug das Trikot des FC Barcelona. Anderthalb Minuten zeigte Demirci im Fernsehen einem Millionenpublikum seine Tricks, wie „starke Männer“ es früher vor einer Kirmesbude taten, bevor er in der Runde Platz nahm und sagte: „Wenn es geht, würde ich schon nach Barcelona wechseln.“

Eine Million Euro bietet der große Klub aus Katalonien für den Spieler von Besiktas Istanbul. Indes: Muhammed Demirci hat noch kein einziges Spiel für das Profiteam von Besiktas bestritten. Der Umworbene ist nämlich so jung, dass sein Alter nach den Konventionen der deutschen Rechtschreibung noch in Buchstaben ausgeschrieben werden muss: Muhammed Demirci ist zwölf Jahre alt. Letzten Monat spielte Muha zwei Wochen bei Barca vor und hat dabei die Talentspäher des Champions-League-Siegers offenbar so beeindruckt, dass sie ihn mitsamt seinen Eltern und seinen vier Geschwistern nach Spanien locken wollen.

Wieder einmal also gilt ein Zwölfjähriger als eine der größten Verheißungen des Weltfußballs. Von dem Kind wird nur in Superlativen gesprochen, in der Türkei wird Muha von der Presse mal als der „neue Ronaldinho“, mal als der „neue Maradona“ gefeiert. Wer sich von dem zweifellos außergewöhnlichen Talent des Mittelfeldspielers überzeugen will, kann sich den technisch begnadeten Linksfuß auf Internetvideos anschauen. Der D-Jugendliche umdribbelt einen Kopf größere Gegenspieler, als seien sie grüne Ampeln, und er schlägt millimetergenaue Pässe zu den Mitspielern, während er in eine ganz andere Richtung schaut.

Die Ampel für einen Wechsel indes steht noch auf Rot. Am Mittwoch hieß es, Besiktas verlange drei Millionen Euro Ablösesumme für den begabten Knaben. Gestern hieß es dann, der älteste der Istanbuler Großklubs will gar fünf Millionen. Natürlich hat Muha längst einen Berater. Seyit Ates, ein ehemaliger Besiktas-Offizieller, sagt: „Das Problem ist, dass Besiktas das größte Talent aller Zeiten nicht abgeben will.“

Seit Jahren ist es üblich im internationalen Transfergeschäft, dass die großen Klubs die Talente schon mit zehn Jahren scouten. Fast keine Saison vergeht, ohne dass ein Minderjähriger zum neuen Maradona ausgerufen wird, der für zig Millionen von einem Klub zum anderen und von einem Land ins nächste transferiert wird. Von den meisten allerdings ist nach den Jahren der Adoleszenz im Fußballgeschäft nichts mehr zu hören. Wer weiß schon sicher, welche Entwicklung ein Zwölfjähriger nimmt?

Für viele ist dieses aggressive Vorgehen der Klubs ohnehin unmoralisch. Auch in türkischen Internetforen wird der aktuelle Fall kontrovers diskutiert: Es wird gefragt, ob so viel Geld einen Zwölfjährigen nicht versauen oder ob man ein Kind mitsamt seiner Familie in ein fremdes Land und mit der überbordenden Erwartung locken darf, eines Tages ein Star im Nou Camp zu werden. Doch allen Türken ist der Stolz gemeinsam, dass ein so großer Verein sich um einen Landsmann bemüht und die Türkei regelmäßig solch außergewöhnliche Talente hervorbringt.

Das Reservoir an überdurchschnittlichen Nachwuchsspielern ist riesig. In der Türkei bietet der Fußball für viele die einzige Chance, die soziale Leiter hochzuklettern. Auch für Muhammed Demirci, der in einfachen Verhältnissen in Istanbul aufgewachsen ist. Die Fifa verweist bei diesem immer bizarrer anmutenden Feilschen um die Jüngsten auf einen Passus für die „Internationalen Transfers Minderjähriger“, der seit 1. Juli 2005 in Kraft ist. Dieser Artikel zum „Schutz Minderjähriger“ bietet aber so viele Ausnahmen, dass ein Wechsel im Fall Demirci kaum verhindert werden könnte. Zum ganzen Trubel um Muha Demirci bemerken übrigens Kenner des türkischen Jugendfußballs: „Muha ist längst nicht der beste Spieler seines Jahrgangs bei Besiktas.“