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Archiv-Artikel

BUDAPEST: ZWISCHEN DEN POLITISCHEN KRÄFTEN IST KEIN DIALOG MÖGLICH Geteiltes Ungarn

Mit Neid blicken viele Ungarn auf Österreich und Deutschland, wo die beiden wichtigsten politischen Kräfte zusammenarbeiten. In Berlin oder Wien mag das Wirken der großen Koalitionen nicht immer Anlass zu Begeisterung geben – in Ungarn ist schon ihr Zustandekommen unmöglich. Seit Ende des Kommunismus haben die sozialdemokratische MSZP und die rechtspopulistische Fidesz abwechselnd regiert. Eine Kooperation ist nicht vorstellbar, wo nicht einmal über die Interpretation der Geschichte Einigkeit herrscht.

Derzeit sind wieder die Sozialdemokraten in einer Koalition an der Macht und versuchen, ein schmerzhaftes Anpassungspaket durchzuziehen. Die sogenannte Lügenrede von Premier Gyurcsány hat – zusammen mit unpopulären Sparmaßnahmen – die Nation weiter entzweit. Vergangenen Herbst witterte Oppositionsführer Viktor Orbán eine Chance, schon vor den nächsten Wahlen einen Machtwechsel zu erzwingen. Doch seine Versuche, den Rücktritt des Premiers durch den Druck der Straße zu erzwingen, schlugen fehl – nicht zuletzt, weil Gewaltexzesse rechtsextremer Rowdys die Protestbewegung diskreditierten. Orbán hütet sich seitdem, zur Gewalt aufzurufen. Die unabhängige Kommission, die die Konfrontationen im September und Oktober 2006 untersucht hat, meint, dass rechtsextreme Gruppen zeitweise annehmen mussten, die größte Oppositionspartei habe sie nicht nur ermutigt, sondern unterstützt. Zwar kommt auch Gyurcsány in dem Bericht nicht gut weg, der Polizei wird exzessive Gewalt gegen Demonstranten vorgeworfen, doch für die blutige Eskalation wird Fidesz verantwortlich gemacht.

Der ehrgeizige Orbán will nicht bis zu den Wahlen 2010 auf seine nächste Chance warten. So nutzt er jede Gelegenheit, um erneut zu mobilisieren und Revanche für die erlittenen Demütigungen zu üben. Orbán drohte in der rechtskonservativen Wochenzeitung Heti Válasz nicht nur Gyurcsány, sondern der gesamten postkommunistischen Elite unverhüllt mit strafrechtlicher Verfolgung, wenn er erst wieder an der Macht ist. Politischer Dialog ist da keine Option. RALF LEONHARD