Was Frauen zu Frauen macht

Louann Brizendine tut zwar so, als ob sie das weibliche Gehirn nach den neuesten Erkenntnissen der Neurobiologie betrachtet. Aber sie schreibt nur alte Klischees neu auf

Die Welt der Frauen dreht sich ausschließlich um Männer – wie man sie gewinnt, wie man sie hält

Der entscheidende Satz steht auf Seite 119. „Damit Männer sich an eine Liebespartnerin binden können, brauchen sie nach heutiger Kenntnis beide Neurohormone.“ Wer sich so weit in Louann Brizendines Buch „Das weibliche Gehirn“ vorgearbeitet hat, möchte verzweifelt aufschreien: Dann spritzt sie ihnen doch, schmeißt eine Pille! Nur bitte, schreibt nicht mehr solche Bücher.

Wer bis Seite 119 gekommen ist, der hat wahrscheinlich auch vergessen: Was die US-amerikanische Neuropsychiaterin Brizendine da als „Frauen“ und „Männer“ konstruiert, sollen reale Menschen sein. Zu glatt und klischeehaft sind die Beispiele von Weiblichkeit in ihren vier Erscheinungsformen.

1. Die kleine Leila, die sich immer so freute, wenn ihr Cousin zum Spielen kam, dann aber jedes Mal enttäuscht wurde, denn sie und ihre Freundinnen wollten ein Haus zusammensetzen. „Joseph aber wollte eine Rakete bauen.“ 2. Die halbwüchsige Shana, die beim Simsen mit ihren Freundinnen so viele Lustzentren aktiviert, dass sie die „nach dem Orgasmus größte neurologische Belohnung“ erlebt.

Oder 3. „Melissa, eine Filmproduzentin aus San Francisco“, die sich, 32-jährig, „endlich mal richtig verlieben“ wollte und zu diesem Zweck ihre Locken aufwühlt – womit sie prompt bei Rob einen Volltreffer landet. Und natürlich 4. Sylvia, Mitte fünfzig, bei der „schon eine falsche Bewegung von Robert dazu führen konnte, dass sie türenknallend durch das Haus lief“.

Brizendines Buch ist ein weiblicher Bildungsroman in anbiederndem Ratgeberstil. Das Tor zur Hölle trägt die Überschrift „Was uns zu Frauen macht“. Mit diesem ersten großen Gleichschalten der Weiblichkeit nimmt die Autorin die Leserin an die Hand und führt sie hinab in eine Welt, in der Hormone herrschen. Drei, die „ihr Arzt kennt“, und sechs weitere, die „ihr Arzt vielleicht nicht kennt“. Wie gut trifft es sich da, dass Brizendine mit all diesen Hormonen, die für weibliches Glück und Unglück zuständig sind, bestens vertraut ist.

Interessanterweise gehören die Janes und Marilyns, die Brizendine in diesem Buch beispielhaft durchtherapiert, allesamt zu den oberen Zehntausend. Verständlicherweise. Jemand wie Djamila, eine Schuhverkäuferin aus der Bronx, würde sich kaum als eine Identifikationsfolie für zukünftige Kundinnen eignen. Was geht „uns“ also deren Depression an?

Vage bleibt die tatsächliche Beziehung zwischen messbarer neuronaler Aktivität und bewusstem Erleben. Auch die Übersetzung der psychologischen Konzepte („Liebe“, „Treue“, „Vertrauen“ usw.) in neurobiologische Terminologie ist fragwürdig. „Neuere wissenschaftliche Forschungen entdecken gerade das Gehirn als ein äußerst flexibles, dynamisches Organ“, erklärt etwa die Wissenschaftlerin Nina Zschocke, die sich mit Möglichkeiten einer neurobiologisch informierten Kunstwissenschaft beschäftigt. „Man stellt fest, dass selbst solche neuronalen Verknüpfungen, die lange als genetisch festgelegt galten, durch Lernen veränderbar sind.“ Jede Erfahrung und jede Handlung kann also zu einer Veränderung des Hirns beitragen.

Doch statt sich solchen Fragen zu stellen, arbeitet Brizendine eifrig an der Festschreibung von Geschlechterklischees. Die Welt der Frauen, die hier beschrieben sind, dreht sich ausschließlich um Männer – wie man sie gewinnt, wie man sie hält, wann man sie anrufen darf, warum sie einen trotzdem lieben, auch wenn sie einem nicht zuhören.

Das Schlagwort „Neuro…“ erweckt den Eindruck, dass Brizendine sich am populären Turn in den Geisteswissenschaften orientiert. Doch das ist ein Fehlschluss. „Das weibliche Gehirn“ übt sich in einer naturwissenschaftlichen Aktualisierung des reaktionären Mantras von Jägern und Sammlern. Nur ist die Ursuppe diesmal nicht der insgesamt schwächere weibliche Körper, sondern eben das so irre kommunikative weibliche Hirn, regiert von der Amygdala, dem Angstzentrum, oder, um es mit den Worten der Autorin zu sagen, „dem Heimatschutz des Gehirns“. Spätestens diese Wortwahl dürfte offenbaren, welch Geistes Kind die Autorin ist.

JUDITH LUIG

Louann Brizendine: „Das weibliche Gehirn. Warum Frauen anders sind als Männer“. Übersetzt von Sebastian Vogel. Hoffmann & Campe, Hamburg 2007, 359 Seiten, 19,95 Euro