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Archiv-Artikel

Verdammt, wieder nicht erwischt!

LADENDIEBSTAHL Moderne Kaufhäuser und Kleidershops sind schwerstmehrfachüberwacht – Kameras, Detektive, RFID-Chips. Warum kann unsere Autorin trotzdem unbehelligt durch piepsende Schranken spazieren?

Ich marschiere erhobenen Hauptes durch die letzte Sicherheitsschleuse vor dem Ausgang. Beeeeeeeep. Keiner hält mich auf. Wieso? Ich rufe beim Kaufhaus an

VON PIA VOLK

Als es das erste Mal passiert, laufe ich in eines der Modehäuser rein, ein Schwung von Kunden marschiert raus. Beep. Beep. Beep. Alle sehen sich betroffen an. Nichts passiert. Das zweite Mal bin ich die einzige Verdächtige. Ich gehe durch die Sicherheitsschleuse in einem Drogeriemarkt. Wieder geht der Alarm los. Außer mir ist niemand da. „Ich war’s“, rufe ich laut. Das Mädchen an der Kasse dreht sich in meine Richtung und sagt: „Ach, das sind sicher ihre Schuhe! Das passiert öfter.“ Ja, meine weißen Sneakers, die aussehen wie aus einem Comic, die habe ich vor ein paar Wochen in Asien gekauft und bisher selten angehabt. Wo immer sie mich in den nächsten Tagen und Wochen hintragen, fast überall geht der Sicherheitsalarm los. Metall im Schuh? Ich bin unterwegs auf piependen Sohlen. Aber niemanden scheint das zu interessieren.

Dabei stehen wir Kunden in der Welt des Konsums doch unter ständiger Überwachung. Laut einer Umfrage, die der Handelsverband Deutschland Einzelhandel (HDE) 2009 in Auftrag gegeben hat, nutzen 56 Prozent der Geschäfte eine elektronische Artikelsicherung und 75 Prozent die Kameraüberwachung, ungefähr die Hälfte davon leistet sich auch noch einen Detektiv. Türsteher gibt es in knapp einem Drittel der Unternehmen. Aber machen die auch was – oder ist das alles nur ein Fake, um Leute vom Klauen abzuhalten? Ich würde gern wissen, wie es passieren kann, dass mich niemand aufhält. Ich frage mich, ob die da oben – wer immer das auch ist – wissen, dass ich einen Fehlalarm auslöse. Oder ob sie in der Datenflut aus all den Kameras den Überblick verlieren.

Die großen Kaufhausketten, Elektronikmärkte und Modehäuser wollen darüber keine Auskunft geben. Sie haben sich der Schweigepflicht verschrieben, wenn es um „sicherheitsrelevante Themen“ geht. Die Hersteller der Warensicherungssysteme dagegen werben für ihre Angebote zum „Schwundmanagement“ – Sicherungsetiketten, Chips mit Radiofrequenztechnik und Schranken für die Ausgänge. Die Botschaft: Das dient auch der Abschreckung.

Horst Probst jedoch winkt ab. Er ist 52 Jahre alt und hat lange Zeit als Kaufhausdetektiv gearbeitet. Jetzt leitet er die gleichnamige Sektion beim Bund Deutscher Detektive. „Abschrecken kann man nur die Gelegenheitsdiebe, aber den größeren Schaden machen doch die Diebesbanden.“ Sie klauen nicht eine Rasierklinge, sondern räumen das gesamte Regal leer. Später finden sich die Produkte auf einem Flohmarkt der Umgebung wieder. Manche laufen auch mit präparierten Koffern und Taschen in Modehäuser, die sie füllen und stehen lassen, damit sie später von einem Kumpan abgeholt werden können. Der wirtschaftliche Schaden durch Ladendiebe ist seit Jahren konstant: rund 2,5 Milliarden Euro verliert der Einzelhandel jedes Jahr. Das war bereits 2000 so und hat sich bis heute nicht geändert. Zurückgegangen ist aber die Anzahl der Ladendiebe. Im Jahr 2000 gab es in der Kriminalstatistik noch rund 550.000 gefasste Ladendiebe, 2009 nur 380.000. Man könnte auf die Idee kommen, dass weniger Menschen mehr klauen – oder teurere Sachen?

„Ob es weniger Ladendiebe gibt oder nicht, kann man mit der Statistik gar nicht sagen“, erklärt Stefan Wittke, Leiter der Pressestelle der Polizei Hannover. Die Dunkelziffer sei sehr hoch – und Bandenkriminalität habe es immer gegeben, Tendenz leicht steigend. Die Polizei habe damit ohnehin wenig zu tun, denn die Ladendiebe werden von den Geschäften selbst gestellt, und anschließend zur Polizei gebracht.

Die Aufklärungsrate liegt deshalb bei fast hundert Prozent. Kaum einer stelle bei Ladendiebstahl Anzeige gegen unbekannt.

Wo aber ist der Detektiv, der ruft „Haltet den Dieb?“ Wurden sie als Sparmaßnahme weggekürzt?

„Es gibt mehr Kaufhausdetektive denn je “, sagt Probst. „Irgendjemand muss die Technik auch bedienen. Was meinen sie, wer in den Kontrollräumen vor den 32 Monitoren sitzt?“

Die Menschen anzusprechen, das sollten die Mitarbeiter übernehmen. Denn der Detektiv hadert immer mit der Furcht vor Enttarnung. Wenn er jemanden wie mich aufhalten würde, wäre seine Deckung futsch.

Probst verwundert es auch aus anderen Gründen nicht, dass mich keiner gestoppt hat. „Die Mitarbeiter sind oft an Fehlalarme gewöhnt“, sagt er. Als die ersten Sicherungsanlagen Anfang der 90er Jahre eingeführt wurden, seien sie von allerlei Dingen ausgelöst worden. Heutzutage hätten solche Alarme zwar deutlich abgenommen, aber noch immer sind sie gang und gäbe.

Auch eine Mitarbeiterin eines großen Modehauses kann über meine Frage nur lachen. Sie könne mich gar nicht aufhalten, sagt sie, sie dürfe das nur in Begleitung einer Kollegin machen, aber gerade sei sie doch allein. „Außerdem hast du ja keine Tasche, keinen Koffer und keine Einkaufstüte – was sollst du schon geklaut haben.“ Einerseits richtig. Andererseits: Ketten, Armbänder, Lippenstifte …

Auch Probst sagt, dass es nicht nur auf dem Alarm ankomme, sondern auf verschiedene Faktoren. Wie sich Menschen verhalten, wie lange sie im Laden waren, ob man sie via Kamera bereits gesehen habe.

Ich mache mich also bewusst verdächtig. Ich ziehe meine Schuhe an und marschiere in ein Kaufhaus, gerade dann, als ein Kunde rauskommt. Beep. Ich fahre mit dem Aufzug nach oben, in die Spielzeugabteilung, dann treibe ich mich noch bei der Elektronik rum. Ich bleibe ewig dort. Schaue mir Handys, MP3-Player, Schlüsselanhänger, Krimskrams an. Denn geklaut wird, was klein, handlich und schlecht gesichert ist. Am Ende kaufe ich Spielzeug. Denn zum Klauen braucht man eine Tüte, um die Ware verschwinden zu lassen. Ich nehme die Rolltreppe nach unten. Vor und nach jeder Rolltreppe steht eine Sicherheitsschleuse. Sie piept jedes Mal. Auf die Rolltreppe. Beeep. Runter. Beep. Beep. Nächste Rolltreppe. Sechs Mal.

Dann bin ich unten. Nichts passiert.

Ich marschiere erhobenen Hauptes, allein durch die letzte Sicherheitsschleuse vor dem Ausgang. Beeeeeeeep. Ich bin frei. Niemand greift meinen Arm, keiner rennt mir hinterher.

Ich rufe bei der Kaufhauskette an. Warum hat mich keiner aufgehalten? Mit hoher Wahrscheinlichkeit habe man mich in Augenschein genommen, sagt man mir dort. Das klingt vage.

Vielleicht bedeutet es: Big Brother is watching. Mehr erst mal nicht.