berliner szenen Im Internetcafé

Heinz und seine Tante

Plötzlich verdunkelte sich das Display meines Notebooks. Auch nach wiederholtem Ein- und Ausschalten des Computers wollte es nicht wieder anspringen. Zum Glück, dachte ich mir, gibt es ja mittlerweile an jeder Ecke ein Internetcafé. Und so bin ich seit einigen Tagen Dauergast in einem Etablissement, das außer mir noch einen einzigen Stammkunden zählt: Heinz.

Heinz ist Ende vierzig, sehnig, trägt eng anliegende Jeans und ein Sweatshirt. Ein imposanter Schnauzer ziert seine Oberlippe. Folgende Prozedur spielt sich nun täglich um etwa Viertel nach zehn vor meinen Augen ab: Nachdem Heinz mit einem trommelfellzerreißenden „Wie geht es dir, Habibi?“ das Café betreten hat, küsst er den verdutzten türkischen Inhaber auf beide Wangen. Danach nimmt er mir gegenüber Platz und zündet sich eine Marlboro an, deren Rauch er mir genüsslich ins Gesicht bläst. Während Heinz surft, telefoniert er gern lautstark auf seinem Handy, wobei es meist um Geschäftliches geht. Dabei ist schwer zu sagen, in welcher Branche Heinz genau tätig ist. Ich würde auf Zuhälterei, Uranschmuggel oder Waffenschieberei tippen. Immer wieder fallen Sätze wie: „Hör mir mal zu, Frankie – wenn wir gemeinsam ein Geschäft anfangen, dann bringen wir es auch gemeinsam zu Ende.“

Gestern hat Heinz mich überrascht. Eigentlich nahm alles seinen gewohnten Lauf. Aber dann hörte ich ihn plötzlich „Es freut mich, Tantchen, dass es dir wieder besser geht“ in sein Telefon flöten. Im Verlauf der nächsten Minuten erkundigte sich Heinz aufs Herzlichste nach dem Wohlergehen seiner alten Tante, tröstete sie, machte ihr Mut in schweren Zeiten. Erst mit Frankies nächstem Anruf eine halbe Stunde später fand meine Rührung ein jähes Ende. ANDREAS RESCH