Arzneimittelsicherheit ade

Die Zulassung von Medikamenten und Medizinprodukten soll neu organisiert werden. Die neue Arzneimittelbehörde wird eine Dienstleistungsagentur für die Pharmabranche. Der Verbraucherschutz bleibt dabei auf der Strecke, befürchten Kritiker

„Das bedeutet, dass wir zum Zeitpunkt der Zulassung immer weniger über die Risiken eines Arzneimittels wissen“

VON KLAUS-PETER GÖRLITZER

Der erste Anlauf wurde abrupt gestoppt: Mit dem Untergang der rot-grünen Koalition im Sommer 2005 scheiterte auch ihr Entwurf eines „Gesetzes zur Errichtung einer Deutschen Arzneimittel- und Medizinprodukteagentur“ (DAMA). Urheberin Ulla Schmidt (SPD) blieb in der großen Koalition an Bord – und nun will die beharrliche Bundesgesundheitsministerin ein weitgehend unverändertes DAMA-Konzept bis zum Sommer durchs Parlament bringen.

Erklärtes Ziel ist es, das in Bonn ansässige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in eine Agentur zu verwandeln. Leisten soll sie, was die rund 1.000 MitarbeiterInnen des BfArM bislang schon tun müssen: Medikamente und Medizinprodukte zulassen und registrieren, die Sicherheit der Präparate kontrollieren, Anträge auf klinische Arzneimittelstudien genehmigen.

Die DAMA werde „weitgehend eigenverantwortlich und nach ökonomischen Grundsätzen geführt“, verheißt die Begründung zum Gesetzentwurf. Angestrebt werde, die „Beratungsleistungen für die pharmazeutischen Unternehmen“ erheblich auszubauen. Solcher Service soll laut Bundesgesundheitsministerium (BMG) bewirken, dass die Bearbeitungszeit zur Zulassung einer neuen Arznei von derzeit durchschnittlich 17 Monaten auf sieben Monate verkürzt wird. Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) begrüßt die Strukturreform als „dringend notwendigen Schritt“, der die „Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Zulassungsstelle auf EU-Ebene“ verbessern werde.

Dass Konkurrenz und Beschleunigung auch den PatientInnen dienen, bezweifeln diverse Fachleute. Zum Beispiel Professor Wolf-Dieter Ludwig. „Das bedeutet, dass wir zum Zeitpunkt der Zulassung immer weniger über die Risiken eines Arzneimittels wissen“, gab der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) im ZDF-Magazin „Frontal 21“ zu bedenken. Vor einer drohenden „Verschlechterung der Patientensicherheit“ hatte die AkdÄ bereits im Frühjahr 2005 gewarnt, das DAMA-Gesetz schaffe „falsche Anreize für die Qualität des Zulassungsprozesses“. Noch deutlicher formuliert es Jörg Schaaber von der BUKO-Pharma-Kampagne, die Aktivitäten der Pillenbranche sorgsam beobachtet: „Je mehr und je schneller zugelassen wird, desto höher die Prämie – Verbraucherschutz ade.“

Die harsche Kritik zielt auf sogenannte Zielvereinbarungen, die das BMG alljährlich mit dem zweiköpfigen DAMA-Vorstand vereinbaren soll. Die Vergütung der beiden Manager enthält auch einen „leistungsbezogenen Bestandteil“, der an der „Erfüllung der Zielvereinbarungen“ bemessen werden soll. Die Vermutung, das BMG werde die Zahl eingeworbener Zulassungsanträge als wichtigen Leistungsnachweis werten, liegt nahe. Denn die Reform bezweckt auch, den Bundeshaushalt „mittel- und langfristig“ zu entlasten. Ab 2012 muss sich die DAMA im Bereich der Arzneimittelzulassung und -registrierung vollständig aus den Gebühren der antragstellenden Pharmahersteller finanzieren; für Arzneien, die sich nach der Markteinführung als besonders umsatzstark erweisen, darf zudem ein Zuschlag erhoben werden.

Vor derartigen Anreizen warnen auch InteressenvertreterInnen derjenigen, die sie bald realisieren sollen. Vertrauensleute der im BfArM aktiven Gewerkschaft Ver.di schrieben jedenfalls einen Brandbrief an Ministerin Schmidt und den Gesundheitsausschuss: „Die 100%ige Gebührenfinanzierung der Arzneimittelzulassung stellt die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Beurteilung in Frage. Dadurch kommt es unmittelbar zu einer Gefährdung der Patientensicherheit.“ Behörden, die sich auf diese Weise finanzierten, stünden zunehmend in der Kritik – beispielsweise die britische Zulassungsagentur MHRA.

Bei der Überwachung bereits eingesetzter Medikamente, im Fachjargon „Pharmakovigilanz“ genannt, liegt auch hierzulande einiges im Argen. Wie wichtig Kontrollen sind, verdeutlichte der AkdÄ-Vorsitzende Ludwig im ZDF: „Es gibt viele neue Arzneimittel, sogenannte zielgerichtete Arzneimittel, die in normale Vorgänge in Körperzellen eingreifen, und wir wissen nicht, welche Nebenwirkungen auftreten können.“ Entdeckt würden diese oft erst, nachdem tausende PatientInnen ein neues Präparat eingenommen haben; klinische Studien, die vor der Zulassung verpflichtend sind, könnten in der Regel nur häufige Risiken aufdecken.

Viele Komplikationen bleiben im Alltag unbemerkt. Die Meldequote liege „vermutlich nur bei fünf bis zehn Prozent“, stellte die AkdÄ bereits 2005 fest, und fast jeder fünfte Arzt kenne nicht einmal die entsprechenden Vorgaben. Laut Hochrechnungen verschiedener Studien sterben in Deutschland pro Jahr mindestens 16.000 Menschen an den Folgen unerwünschter Arzneimittelwirkungen.

Nun soll eine Bundesstelle für Pharmakovigilanz in die DAMA integriert werden. Bundesgesundheitsministerin Schmidt erklärt, so werde der „Schutz der Bürgerinnen und Bürger weiter gestärkt“. Die Überwachungsarbeit soll dauerhaft aus dem Bundeshaushalt mitfinanziert werden. Doch der Gesetzentwurf lässt offen, wie hoch und nach welchen Kriterien der Zuschuss veranschlagt wird.

Zulassung und Pharmakovigilanz sollen zwar unter einem DAMA-Dach stattfinden, aber inhaltlich und personell getrennt sein. Trotz der formalen Abgrenzung sind Experten wie Professor Peter Schönhöfer skeptisch. In einer Stellungnahme, verfasst für die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International, fordert der Bremer Pharmakologe, die Arzneimittelüberwachung aus der DAMA auszugliedern. Für Kontrollaufgaben müsse eine eigenständige, staatlich finanzierte Aufsichtsbehörde etabliert werden.

Schönhöfer lehnt es grundsätzlich ab, das BfArM in eine Dienstleistungsagentur zu verwandeln. Stattdessen plädiert er dafür, die Behörde in puncto Pharmakovigilanz und Sicherheitsforschung zu „profilieren“. Dies verbessere nicht nur die Gesundheitsversorgung. Es sei auch „zukunftsträchtiger“, als mit anderen nationalen Institutionen in Europa um Zulassungsaufträge zu konkurrieren. Zumal der Markt durchaus eng erscheint: Weltweit würden jedes Jahr „nur noch etwa 30 neue Wirkstoffe eingeführt“, bilanziert Schönhöfer. „Die nationale Zulassungstätigkeit“, so seine Prognose, „verliert mittel- und langfristig an Bedeutung.“