Was war noch mal ein Argument?

Wolfgang Hübener näherte sich dieser Frage philosophisch und analysierte dabei Platon ebenso wie Foucault

Vor 25 Jahren erschien Umberto Ecos „Der Name der Rose“ erstmals in deutscher Übersetzung. Liest man die Besprechungen aus dieser Zeit, so bleibt man an einer einzigen sprichwörtlich hängen. Sie erschien in der taz am 9. April 1984 und umfasste eine ganze Seite. Der Autor: der Berliner Philosophieprofessor Wolfgang Hübener. Ebenso elegant wie kritisch durchleuchtete er den Versuch Ecos, komplizierte philosophische Fragen des Mittelalters romanhaft für den modernen Leser aufzubereiten. Eine „Initiation für Avancierte“ sah der Gelehrte in dem Werk, die er sympathisierend und doch mit berufsbedingter Distanz ausleuchtete.

Der Autor war zu dieser Zeit in Berlin längst eine feste Adresse für all jene, die Philosophie nicht als bloße Spekulation, sondern als Mischung aus Philologie und Interpretationskunst kennenlernen wollten. 1934 in Schwerin geboren, promovierte Hübener 1960 über „Martin Heideggers Denkart“, neun Jahre später habilitierte er sich mit „Studien zur Theorie der kognitiven Repräsentation in der mittelalterlichen Philosophie“. Was beide Schriften auszeichnete, war neben der abgeklärten Sprache und der Souveränität der Materialbeherrschung die neuartige Selbstverständlichkeit, mit der Texte auf ihre Argumentationsstrukturen hin befragt wurden. Der bis heute lähmende Gegensatz von Philosophiegeschichte einerseits, die zumeist als Asservatenkammer mit Mottenkugelgeruch vorgestellt wird, und systematischem Denken andererseits war bei Hübener aufgehoben. Er interessierte sich für die Genese von Argumenten und suchte nach einer Sprache für ihre Rekonstruktion.

Nicht nur mittelalterlichen Autoren oder Leibniz galt sein Interesse, sondern auch den neuen Stars der Diskursszene wie Michel Foucault und Jacques Derrida. Mag etwa deren Platon-Lektüre Hübener letztlich doch nicht überzeugt haben, so war ihm die Auseinandersetzung mit „Sexualität und Wahrheit“ und der „Grammatologie“ so selbstverständlich wie die Beschäftigung mit Antonin Artauds Texten.

Dahinter stand keine Marotte, vielmehr die Einsicht, dass Philosophie bis in die Gegenwart immer in bestimmten Formen auftritt, dass sie ihre Argumente nicht endlos variieren kann. So ist beispielsweise der „Syllogismus“, die Lehre logischer Schlüsse, ein Charakteristikum des Mittelalters. Doch diese Feststellung muss durch eine Nachzeichnung der Zeit selbst belegt werden, sie ist auf den „Denkstil“ hin zu prüfen, der sich in den Texten äußert. Der Vergleich mit späteren Epochen ist nach Hübener dabei nicht hilfreich, etwa wenn die Freiheit der Form gegenüber den scholastischen „spanischen Schnürstiefeln“ der Logik gefeiert wird. An solchen Stellen sind seine Analysen unbarmherzig, denn Spinoza mag der flexiblere Geist gewesen sein, doch war er ein schlechter Logiker.

Wer Philosophiegeschichte als hartes Geschäft betreibt und noch einen Rest Vertrauen in die Aussagen der „Alten“ hat, der sollte Hübeners Essay über die „Ehe des Merkurius und der Philologie“ lesen. Das dort entwickelte Programm war nicht zuletzt als Gegengift zu den ahistorischen Denkfiguren Carl Schmitts und mehr noch gegen die großen Erzählungen Hans Blumenbergs gerichtet. Beiden widmete er seine glanzvollsten Beiträge, die nichts weniger als Bloßstellungen von überdimensionierten Geschichtsphilosophien darstellen.

Es mag eine besondere Eigenschaft Hübeners gewesen sein, dass er, der als sehr konservativ galt, auch mit einer schwierigen Person wie seinem berühmteren Kollegen Jacob Taubes freundschaftlich umgehen konnte. Vielleicht hat sich in solchen Momenten eine bestimmte Form des Humors geäußert, die seine Schriften bis heute zum Genuss machen. Hübener war in seiner Generation neben Werner Beierwaltes der große Philosophiehistoriker im allerbesten Sinne des Wortes. Wie erst jetzt bekannt wurde, ist er bereits am 16. März in Hamburg verstorben.

THOMAS MEYER