: Energiekonzerne wollen mehr Kohle
45 neue Kohlekraftwerke sind für Deutschland in Planung. Linke und Grüne sehen Klimaschutz in Gefahr. Der Ausstoß von Kohlendioxid könne trotzdem reduziert werden, sagt SPD-Umweltminister Gabriel. Er hofft auf den Emissionshandel
VON MORITZ SCHRÖDER
Während deutsche Umweltpolitiker über Maßnahmen gegen den hohen Kohlendioxidausstoß diskutieren, planen Deutschlands Stromkonzerne am Klimaschutz vorbei. Unter den 84 Kraftwerken, die sie in den nächsten Jahren bauen wollen, sind 45 besonders klimaschädliche Kohlekraftwerke. Die 39 Steinkohle- und sechs Braunkohleanlagen sollen eine Gesamtleistung von knapp 45.000 Megawatt haben. Das geht aus einer internen Liste der Bundesnetzagentur hervor, die der taz vorliegt. Bislang hatte die Energiewirtschaft nur von 26 neuen Kohlekraftwerken gesprochen.
Nach diesen Plänen könnte die Bundesrepublik ihre Sparziele für den Klimaschutz kaum erreichen. Wenn die Betreiber ihre Vorhaben umsetzen, läge der Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) aus den Kraftwerken bereits im Jahr 2012 über dem des Vergleichsjahrs 1990 – also dem Wert, den Deutschland bis dahin insgesamt um 21 Prozent unterbieten will. Das ergaben Berechnungen des energiepolitischen Sprechers der Linksfraktion im Bundestag, Hans-Kurt Hill. Das Resultat der Zahlen sei klar: „Die Klimaschutzziele fliegen der Bundesregierung um die Ohren.“ 1990 stießen die Energieerzeuger rund 350 Millionen Tonnen Kohlendioxid aus, 2012 werden es nach den Prognosen 373 Millionen Tonnen sein – schon bei mittlerer Auslastung der Anlagen. Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes hätte allein die Kohle daran einen Anteil von rund 191 Millionen Tonnen.
Die neuen Zahlen entsprechen der Tendenz, mit der die Kraftwerksbetreiber in den vergangenen Monaten über geplante Neubauten informierten. Im Frühjahr 2006 kündigten sie 17 neue Kohlekraftwerke an. Ende vergangenen Jahres waren es dann schon 26 Kohlekraftwerke mit 26.000 Megawatt. Die internen Zahlen belegen nun, dass die Stromkonzerne fast doppelt so viele Neuanlagen auf Kohlebasis in der Schublade haben.
Im von Sigmar Gabriel (SPD) geführten Umweltministerium sind die neuen Zahlen nicht bekannt. Generell sieht man neue Kohlekraftwerke hier aber positiv. „Die geplanten Investitionen sind enorm wichtig, denn ohne neue Kraftwerke müssen die alten länger am Netz bleiben“, sagte Sigmar Gabriels Sprecher Michael Schroeren der taz. Kohle sei für die Versorgungssicherheit wichtig und wesentlich kostengünstiger als Gas. Die Befürchtung, dass die Klimaschutzziele verfehlt werden, wies Schroeren zurück. Der Emissionshandel werde bewirken, dass klimaschädliche Anlagen abgeschaltet oder mit Techniken zur CO2-Abscheidung nachgerüstet werden, sobald das möglich sei.
Ganz anders sieht das Reinhard Loske, Bundestagsabgeordneter der Grünen. „Wird politisch jetzt nicht gegengesteuert, droht eine faktische Investitionsverhinderung für erneuerbare Energien.“ Die Pläne für neue Kohlekraftwerke seien ein „GAU für den deutschen Klimaschutz“ und das Gerede des Umweltministers über klimaverträgliche Kohlekraftwerke eine „Farce“, so Loske.
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