: Friedfertige Revolverschnauzen
Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) wurde am 26. September 1968 als Nachfolgerin der zwölf Jahre zuvor verbotenen KPD gegründet. In der alten BRD war sie die parteipolitische Vertretung des real existierenden Sozialismus Marke Pankow und Moskau. Für die zumeist maoistisch gepolten K-Gruppen der 70er wurde sie zum Feindbild – und für die SED-Diktatur zum niedlichen Appendix West. In ihrem 2006 in Duisburg beschlossenen neuen Parteiprogramm bezeichnet sich die DKP als „revolutionäre Partei der Arbeiterklasse“, die sich die Umwandlung der Gesellschaft durch Klassenkampf zum Ziel gesetzt hat. Bis heute wird sie vom NRW-Verfassungsschutz als linksextremistisch, orthodox kommunistisch und verfassungsfeindlich eingestuft. In Nordrhein-Westfalen hat die DKP etwa 1.500 Mitglieder, bundesweit sind es mehr als 4.000. Der DKP, ihrer Jugendorganisation SDAJ oder ihrem Studentenableger MSB-Spartakus gehörten früher neben ihren Barden Hannes Wader und Dieter Süverkrüp auch Linkspartei-Landeschef Paul Schäfer, Franz Sommerfeld (Chefredakteur Kölner Stadt-Anzeiger), Bernd Gäbler (Medienberater), Lutz Görner (Rezitator) und Dieter Bohlen (Überfallopfer) an. KAN
AUS BOTTROP KLAUS JANSEN
Irmgard Bobrzik ist eine Frau, die gerne lacht. Das hat die rothaarige Rentnerin auch im Jahr 2004 gemacht, nachdem sich die erste Wut über die Verdächtigungen gelegt hatte. Frau Bobrzik hat sich einen Stahlhelm auf den feurigen Lockenkopf gesetzt, ein Holzgewehr in die Hand genommen und ist so in den Bottroper Stadtrat einmarschiert. Über ihren Aufzug haben sich die Ratsfrauen und Ratsherren gewundert, über ihr Erscheinen jedoch nicht: Irmgard Bobrzik ist eine von ihnen – wenn auch ein bisschen anders. Sie ist Abgeordnete der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP).
Zweieinhalb Jahre nach ihrem Einmarsch in die Ratssitzung sitzt die 66-Jährige gemeinsam mit ihren Genossen Michael Gerber und Herbert Dibowski im kleinen Bottroper DKP-Büro, um einen Schlussstrich unter den Ärger von damals zu ziehen. Die drei Kommunisten wollen beweisen, dass sie, von Spielzeugflinten abgesehen, niemals mit Waffen Politik gemacht haben. „Ich habe vielleicht eine Revolverschnauze, aber ich bin doch keine Terroristin“, sagt Irmgard Bobrzik. Deshalb sei sie auch „zutiefst beleidigt“ gewesen, dass sie sich vor der vergangenen Kommunalwahl mit dem Vorwurf auseinander setzen musste, in „Sabotage“ und „lautlosem Töten im Nahkampf“ geschult worden zu sein.
Was die kleine Kommunisten-enklave in Bottrop im Sommer 2004 in Aufruhr versetzt hatte, nahm seinen Anfang in Berlin. Die für die Unterlagen der DDR-Staatssicherheit zuständige Birthler-Behörde hatte die so genannten Rosenholz-Akten freigegeben, in denen Informationen über ehemalige DDR-Auslandsspione gesammelt sind. Darin enthalten: Berichte über die „Gruppe Ralf Forster“, eine Militärorganisation der DKP, die auf Anweisung von Ost-Berlin die kapitalistische Bundesrepublik bekämpfen sollte. Der Spiegel berichtete, das Fernsehen auch. Und im Wahlkampf um das Bottroper Rathaus forderte CDU-Fraktionschef Roland Trottenburg eine Überprüfung der DKP-Abgeordneten. Angeblich fühlte er sich persönlich bedroht. „Völliger Unsinn“, sagt er heute. „Ich fand nur, dass sie sich erklären sollten.“ Am Ende beschloss der Bottroper Stadtrat als einziger in ganz Westdeutschland, gleich alle Ratsmitglieder auf Stasi-Kontakte zu überprüfen. Gut zwei Drittel stellten tatsächlich einen Antrag.
Vor die Presse treten wollen allerdings nur Bobrzik, Dibowski und Gerber. Sie haben Dossiers über sich auf die Tischplatte gelegt, gerne hätten sie noch Unterlagen des Verfassungsschutzes hinzugefügt, doch der wollte keine Auskunft geben. Irmgard Bobrzik kommt in ihrer Stasi-Akte auf 18 Karteikarten, Michael Gerber auf neun und Heinz Dibowski auf vier. Wer sich dafür interessiert, kann jetzt wissen, dass alle drei Urlaub in Ostdeutschland gemacht und Ferienfreizeiten betreut haben. Von Kampfausbildung ist selbstverständlich nicht die Rede – Bobrzik war Gastdelegierte auf einem SED-Parteitag, Gerber flog einmal von Berlin über Budapest nach Beirut, Dibowski war als Mann zu einem sozialistischen Frauenkongress eingeladen. Verdächtig? „Ich war im Parteivorstand der DKP, ich fühle mich überhaupt nicht ausreichend gewürdigt. Die haben bestimmt nicht alles erfasst“, sagt Bobrzik. „Natürlich hatten wir freundschaftliche Kontakte zur SED“, sagt Gerber. „Jeder hier in Bottrop weiß, dass wir Kommunisten sind.“
Das ist kaum zu übersehen. Das DKP-Büro in Bottrop gleicht einem Fanshop für Arbeiterkampf-Nostalgiker. Im Schaufenster werden T-Shirts mit dem längst nicht mehr verwendeten alten Stadtwappen angeboten: Es zeigt eine Arbeiterfaust auf rotem Grund, die einen Bergbauschlägel hält. Drinnen künden Plakate von den Schlachten vergangener Tage: „Enteignet VEBA“ zielt auf den längst nicht mehr existenten Wohnungs- und Energiekonzern, „Bottrop bleibt Bottrop – kein Fressen für Essen“ auf die kommunale Neugliederung in den 60er und 70er Jahren.
Es hat Tradition in der Bergbaustadt Bottrop, die etwas angestaubte DKP zu wählen. „Früher war das die Polen-Partei, Bottrop war Klein-Warschau. Die werden immer ihre Wähler haben“, sagt selbst CDU-Mann Trottenburg. Nirgendwo bekommen die Nachfolger der verbotenen KPD so viele Stimmen wie in der Stadt im nördlichen Ruhrgebiet. Dass der Verfassungsschutz die ultraorthodoxen Kommunisten in seinem aktuellen Bericht wie schon seit Jahren als „eindeutig verfassungsfeindlich“ und für den „außerparlamentarischen Kampf“ gerüstet bezeichnet, ist hier zweitrangig.
Die DKP übernimmt in Bottrop wie selbstverständlich die Rolle, die die Linkspartei im Osten spielt: Sie artikuliert Protest. Sie gibt den Anwalt der kleinen Leute. Und sie verkörpert die schwindende Bergbautradition der Stadt. „Kohle statt Atom“ ist auf die kleinen Lampen gedruckt, die das Schaufenster des Büros schmücken. Alle zwei Jahre gibt es beim Pressefest der Parteizeitung UZ Grillfleisch, Wanderlieder, Punk und Ska. Manchmal kommt auch Hannes Wader vorbei und singt Venceremos.
„Außerhalb der Stadt muss man manchmal erklären, wer wir sind“, sagt Michael Gerber. Der hagere 56-Jährige hat das in den vergangenen Wochen häufiger tun müssen, er war Betriebsrat beim insolventen Handyhersteller BenQ. Radiointerviews mit ihm begannen meist so: „Nur damit Sie es gleich wissen, der Mann ist von der DKP, wir reden aber trotzdem über die Sache.“ In Bottrop, sagt Gerber, „gehören wir zur politischen Kultur“. Er hätte es gerne, wenn es in mehr Städten so wäre.
Doch zwischen der DKP und der Normalität steht – auch ohne Kampfausbildung – die enge Bindung an die DDR-Staatspartei SED. Nicht nur konservative Wissenschaftler wie der Bonner Politikprofessor Gerd Langguth sehen es als erwiesen an, dass die westdeutsche Partei von den Genossen im Osten finanziell unterstützt wurde. „Daran besteht kein Zweifel. Es ist ein Wunder, dass es die DKP so lange nach der Wende noch gibt“, sagt Langguth.
In Bottrop kommen solche Sätze überhaupt nicht gut an. „Unsere Finanzen sind immer von der Stadtverwaltung überprüft worden“, sagt Gerber. „Wenn ich Geld gehabt hätte, hätte ich nicht bis zur Rente im Pflegeheim arbeiten und in einer gemeinnützigen Wohnung leben müssen“, sagt Irmgard Bobrzik. „Ohne Einladungen aus dem Osten hätte ich kaum Urlaub machen können.“ Die drei Kommunisten stehen zu ihren DDR-Beziehungen – und sind enttäuscht, dass sie ihnen in der Lokalpolitik zur Last gelegt werden. „Unsere Kontakte waren ja auch zum Wohle der Stadt“, sagt Irmgard Bobrzik. Die Städtepartnerschaft mit dem thüringischen Meuselwitz etwa, die sei vor allem von ihnen gepflegt worden.
Gegen Ende der Stasi-Unterrichtung, die Akten sind bereits fertig für die Presse kopiert, kommt der schweigsame Herbert Dibowski noch einmal auf die Kommunalpolitik zu sprechen. Ob es schon alle gehört hätten, dass die Karstadt-Filiale in der Bottroper Innenstadt von der Schließung bedroht sei? „Schlimm ist das“, sagt Dibowski, „das hätte Auswirkungen auf den ganzen Einzelhandel.“ Und so kommt es zu einem Bild, das manchem Verfassungsschützer und CDU-Lokalpolitiker etwas seltsam vorkommen könnte: Drei angeblich in Nahkampf und Sabotage ausgebildete Ultra-Kommunisten sitzen an einem Tisch und machen sich Sorgen um einen Konsumtempel.