: Wolken, Wellen, Watt
MEDIENKUNST Der Bremer Künstler Mike Weisser zeigt auf Schloss Ritzebüttel unter dem Titel „im:heimat:rausch“ Cuxhaven-Bilder. Diese entfalten erst als Reihe gesehen ihr künstlerisches Potenzial
Hübsch steht es da im grünenden Park, das Schloss Ritzebüttel zu Cuxhaven, eine diskrete Backsteinschönheit. Hier hat einst Hamburgs Barock-Poet Barthold Hinrich Brockes als Amtmann residiert und jedes Würmlein als Beweis der Allmacht des Herrn besungen. Und hier startet mit der Ausstellung „im:heimat:rausch“ Mike Weisser seinen Triumphzug.
Sie kennen Weisser nicht? Das kommt vor, sogar ziemlich oft. Zwar ist der Bremer der erste deutsche Künstler, der im Museo Antropológico der Osterinseln eine Einzelausstellung hatte (taz berichtete). Aber das half ihm hierzuland nicht. Bremer allerdings kennen Weisser, weil er die Stadt oft als Gegenstand wählt. Und weil er viel Gemeinnütziges macht, gerade zum Beispiel eine Schau zum fairen Handel in der Stadtbibliothek oder Projekte mit Schulen.
Auch hat er maßgeblich die Umwidmung des überlebensgroßen Backstein-Elefanten hinter dem Bremer Hauptbahnhof vom Kolonial- zum Antikolonialismus-Denkmal vorangetrieben. Kurz, man hatte ihn fest als local hero schubladisiert.
Zu Unrecht, findet Peter Weibel. Der ist Direktor des Karlsruher Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM), also der weltgrößten Einrichtung für Medienkunst. Die hat Weissers Gesamtwerk gekauft. In zwei Jahren wird der ganze Karlsruher Technotempel bespielt, mit Weissers Musik, Weissers Videos, Weissers Digitalfoto-Computerprints. „Die Sammlung“, so Weibel, „stellt ein einzigartiges Konvolut zur Entwicklung der multimedialen Kunst dar.“
Mike Weissers Lebensweg führt über Köln und Bonn, wo er studiert hat, Trier, wo sein Musiklabel angesiedelt war und Bremen, wo er lebt. In Cuxhaven-Deichsende wurde Weisser 1948 geboren.
Es ist nötig, Weissers künstlerischen Ansatz zu kennen, um die Ausstellung in Cuxhaven zu verstehen. Denn im Grunde ist das Dachgeschoss des Ritzebüttel-Schlösschens zu klein. Die Bilder wirken hier wie Einzelwerke, Pigment gedruckt, dekorativ – und leidlich belanglos.
Weissers Ansatz aber ist entschieden seriell: Seine Fotos halten willkürlich Details fest. In Cuxhaven: Wolkenformationen, Wellenabdrücke im Watt, Ansichten von Windrädern, Gebäuden, Tang. Dieses unabschließbare Inventar rekombiniert er teils unverändert, teils technisch nachbearbeitet, verzerrt, farblich neu definiert, computergezoomt. Fast immer wird am Ende ein Quadrat stehen, das manchmal ein riesiger Quick-Response Code ist, oder ein Quadrat, das sich aus 20 mal 20 Miniaturbildern des gleichen oder unterschiedlicher Motive zusammensetzt, oder auch aus zehn auf schmale Streifen komprimierten Fotos. Oder aus einer Einzelaufnahme besteht.
Erst als Reihe gesehen, auf ein konkretes und auf dahinter liegende virtuelle Ziele hin orientiert, beginnen Bilder und Bildchen mehr zu sein als glänzende Oberflächen – nämlich (einander) reflektierende Oberflächen. Reflektieren ist ein anderes Wort für denken. BES
bis 24. Juni, Cuxhaven, Schloss Ritzebüttel