Monsterhatz in Turnhosen

„The Host“ hat in Südkorea 13 Millionen Kinokarten verkauft und ist ein wahres Ungetüm. Horror und Science-Fiction verbinden sich mit Familiendrama und Gesellschaftssatire und am Ende überleben nicht alle

Die „mad scientists“ haben das Ruder übernommen, und das Militär veranstaltet Grillpartys

VON DIETMAR KAMMERER

Dieses Monster ist durch und durch monströs. Das schon deshalb, weil darin – wie es sich für ein echtes Mischwesen gehört – gleich mehrere Ungeheuer in einem stecken. Wie der weiße Hai lebt es im Wasser, wie King Kong kann es sich mit erschreckender Geschwindigkeit an Architektur entlangschwingen und dabei junge Mädchen an entlegene Orte entführen. Und wie bei Godzilla ist seine Geburt die Folge einer von menschlicher Arroganz verursachten Umweltkatastrophe. Auf den viel zu kurzen Beinchen wirkt sein Körper plump und schwerfällig, doch wenn das Ungetüm zum Angriff übergeht, ist es ein verdammt flinkes Vieh: Eine absolut tödliche, zehn Meter lange Kaulquappe mit Zähnen.

Die, die es bekämpfen, setzen Pistolen und Schrotflinten ein, beschießen es mit Pfeil und Bogen oder überschütten es mit brennendem Benzin, was die Über-Amphibie aber genauso wenig beeindruckt wie die Hightech-Waffen der südkoreanischen Regierung. Die will den glitschigen Menschenfresser mit Giftgas aufhalten, was schon im Ansatz grundfalsch ist: Hat doch die Anweisung eines US-Militärs, eine ätzende Chemiebrühe einfach über die städtische Kanalisation in den Fluss Han zu entsorgen, erst zur Mutation geführt. Zur Strecke bringen kann so eine Kreatur nur der vereinte Wille einer ähnlich grotesken Lebensform: die Mitglieder der Familie Park.

Auch die wirkt auf den ersten Blick reichlich behäbig, allen voran Gang-du (Song Kang-ho), erwachsener Sohn und einziger Angestellter eines Imbissbudenbesitzers, der seine Tage mehr schlafend als wachend verbringt, gerne am frittierten Tintenfisch der Gäste nascht und ansonsten wenig weitere Pläne hat im Leben. Sein Bruder und seine Schwester verkörpern die Erfolglosigkeit der Parks auf andere Art: Er hat es bloß zum arbeitslosen Akademiker gebracht, sie verpatzt olympisches Gold im Bogenschießen. In einer Gesellschaft, in der ausschließlich der Gewinner zählt, sind alle anderen Verlierer. Vielleicht ist Gang-dus Phlegma die bewusste Verweigerung des Karrierezwangs. Vielleicht auch nicht. Normalerweise gehen die Geschwister sich jedenfalls aus dem Weg. Als jedoch aus dem Fluss ein glibbriges Untier auftaucht, das ein Dutzend Spaziergänger verspeist und anschließend Gang-dus kleine Tochter Hyun-seo (Go Ah-sung) mit sich schleppt, rauft die zersplitterte Familie sich zusammen und startet einen Rachefeldzug. Nicht alle werden ihn überleben. Neben einer Monsterjagd und einer Politsatire erzählt „The Host“ auch, dass eine Familie Opfer bringen muss.

Wer nach dieser knappen Plotangabe glaubt, er wüsste, wie „The Host“ aussieht und sich anfühlt, kennt Bong Joon-ho nicht. Der 37-jährige Regisseur wurde in seinem Heimatland und hierzulande vor allem durch „Memories of Murder“ (2003) bekannt, der lose auf der wahren Geschichte der erfolglosen Fahndung nach dem ersten koreanischen Serienkiller beruht. Als Thriller betrachtet, wäre „Memories“ solides Handwerk, aber Bong Joon-ho nutzte die Vorlage vor allem für eine Abrechnung mit der koreanischen Gesellschaft und den Polizeibehörden in Zeiten der Militärdiktatur. Folter und Schläge waren noch in den Achtzigern die gängigen Mittel, um aus Verdächtigen Geständnisse zu erpressen.

So ist auch in „The Host“ der eigentliche Gegner nicht im Wasser zu suchen, sondern steckt in den verschiedenen Gestalten uniformierter Regierungsmacht: die Ärzte und Wissenschaftler in weißen Kitteln, der Zivilschutz in den gelben Schutzanzügen, das Militär in Camouflage, die Polizisten in blauen Uniformen. Unter all denen, die in einer nationalen Notsituation für Ordnung sorgen sollten, ist hier keiner, der durch Korruption, Inkompetenz, Größenwahn oder schiere Dummheit eine schlimme Lage nicht in eine katastrophale verwandeln könnte. Weil ein einfaches Bedrohungsszenario offenbar nicht ausreicht, wird kurzerhand eine Viruserkrankung erfunden und jeder, der mit dem Monster in Kontakt kam, in Quarantäne gesteckt. Da liegt die Bedeutung des Filmtitels: In Krisenzeiten ist erste Aufgabe der Staatsmacht nicht etwa die Beseitigung der Bedrohung, sondern die Ruhigstellung der Bevölkerung. Zu diesem Zweck kann jeder zum „Host“ erklärt werden: zum Wirtskörper, der schädliche Viren, staatsfeindliche Gedanken oder umstürzlerische Absichten in sich trägt. Ums Monster kann man sich noch später kümmern. Erst mal die renitenten Untertanen in den Griff kriegen. Und wenn das Virus nicht nachgewiesen kann, dann nur, weil es sich im Gehirn der Leute versteckt, so die Logik irrer Militärärzte. Dann muss der Schädel eben aufgebohrt werden. Ohne Narkose.

Korea im Ausnahmezustand: Die mad scientists haben das Ruder übernommen und das Militär veranstaltet Grillpartys im Sperrbezirk, weil die Strände endlich so schön leer sind. Dazu kommt das, um es mal milde auszudrücken, strategische Ungeschick der Familie Park, die erst ihre Zankereien untereinander beilegen muss, bevor es auf Monsterhatz gehen kann. Bong Joon-ho gönnt seinen Helden keine fantastischen Wandlungen, wie sie in plumpen From-Zero-to-Hero-Klamotten immer wieder mal machbar erscheinen, nach dem Motto: Wir können auch anders. Wenn heroische Fanfarenmusik ertönt, damit auch die hinterste Zuschauerreihe mitbekommt: Jetzt schlägt der gedemütigte Held zurück und die Bösen kriegen das Zittern. Nicht hier. Gang-du wird seinen schlurfenden Gang in ausgebeulten Turnhosen niemals ablegen, selbst dann nicht, wenn er um sein Leben rennt.

In „Sympathy for Mr. Vengeance“ (Regie: Park Chan-wook) spielte Song Kang-ho schon einmal einen Vater, der seine Tochter verliert und auf Vergeltung sinnt. Davon abgesehen könnten beide Figuren unterschiedlicher nicht sein: Hier der antriebslose Hänger, als „Mr. Vengeance“ ein erfolgreicher und durchsetzungsfähiger Geschäftsmann. Erst in der Tragödie werden sie einander ähnlich, sie brechen, aber zerbrechen nicht, jedenfalls nicht, solange die Wut sie antreibt. Die sturen Charaktere, solche, die ihr Ziel bis zur Selbstaufgabe verfolgen, sind das Markenzeichen des 40-jährigen Song Kang-ho. In Korea ist Song, der nie eine Schauspielschule besucht hat, einer der größten Stars des Kinos. Bekannt wurde er als Komiker, seinen Durchbruch hatte er in den Filmen von Park Chan-wook. Bong Joon-ho gab ihm in „Memories of Murder“ die Hauptrolle.

„Memories“ kam beim Publikum schon damals gut an, die neue Zusammenarbeit der beiden in „The Host“ nun hat mit 13 Millionen verkaufter Eintrittskarten sämtliche bisherigen Kassenrekorde in Korea gebrochen. Weil asiatische Blockbuster zumindest als Remakes zurzeit auch jenseits des Teiches gut ankommen – siehe Martin Scorseses „The Departed“ – hat Hollywood sich bereits die Rechte für eine Wiederverfilmung gesichert. Die Special Effects werden dann sicher (und unnötigerweise) perfekter, der Galgenhumor vermutlich schaler und beißende Kritik an amerikanischem Militär wird man vergebens suchen. Die Geschichte mit der Giftmüllverklappung in den Fluss Han durch Angehörige von in Seoul stationierten US-Streitkräften ist 2000 übrigens genau so passiert.

Wegen seiner antiamerikanischen Schlagseite hat Nordkorea „The Host „ausdrücklich gelobt – vermutlich das erste Mal, das einem südkoreanischen Blockbuster solch zweifelhafte Ehre widerfährt. Außerdem haben die Cahiers du Cinéma den Film 2006 auf Platz 3 ihrer besten Filme des Jahres gewählt: nach Alain Resnais’ „Herzen“ und noch vor „Ein perfektes Paar“ von Nobuhiro Suwa (die beide ebenfalls heute anlaufen). Wenn ein Film solch unterschiedliche Anforderungen erfüllt und dabei gleichermaßen in die Kategorien Horrorfilm, Klamauk, Politsatire, Familiendrama passt und nicht passt – dann ist „The Host“ mehr als bloß ein Film über ein Ungeheuer: Er ist selbst das Ungeheuer. Ein veritabler Monster-Film.

„The Host“. Regie: Bong Joon-ho. Mit Song Kang-ho, Hie-bong Byeon, Bae Du-na. Südkorea 2006, 119 Minuten