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Archiv-Artikel

„In manchen Klassen steppte der Bär“

Brigitte Pick, die frühere Rektorin der Rütli-Schule, wehrt sich gegen den Ruf ihrer Schüler als „irgendwelcher Wilden, die durch Berlin toben“

BRIGITTE PICK, 60, war von 1983 bis 2005 Rektorin der Neuköllner Rütli-Schule. Ihr Buch „Kopfschüsse. Wer PISA nicht versteht, muss mit RÜTLI rechnen“ ist im VSA Verlag erschienen.

taz: Frau Pick, Sie haben kürzlich ein Buch über die Rütli-Schule veröffentlicht. Wie geht es Ihnen ein Jahr nach dem Rummel um die Schule, die Sie 22 Jahre lang leiteten?

Brigitte Pick: Ich fühle mich heute besser. Mein Buch war eine Möglichkeit, mich ein bisschen zu befreien. Mich hat die ganze Geschichte damals ja kalt erwischt. Ich wusste vorher nichts von dem Brief. Es hat mir wehgetan. Ich wollte mit meinem Buch auch den Kindern ein Gesicht geben. Das sind ja nicht irgendwelche Wilden, die durch Berlin toben und Lehrer verprügeln.

Man hat Ihnen damals vorgeworfen, Sie gäben den Lehrern zu viel Schuld an den Problemen der Schule. War das Ihre Meinung?

Es gibt unter Lehrern wie in jedem Beruf gute und schlechte. Aber ich bin damals nicht an den Schülern und nicht an den Eltern gescheitert. Doch es allen Kollegen recht zu machen, ist schwer und mir nicht immer gelungen.

Waren die Verhältnisse an der Rütli-Schule tatsächlich so schlimm oder ist vieles übertrieben oder falsch verstanden worden?

Ich glaube, dass da ganz viel missverstanden wurde. Es wurde mir auch unterstellt, ich hätte Probleme nicht gesehen. Das ist Unsinn. Natürlich weiß ich, dass in manchen Klassen der Bär gesteppt hat. Aber wenn es ganz schlimm wurde, dann wurde ich eben geholt. Und dann war Feierabend.

So kann man aber doch nicht alle Konflikte lösen?

Wir haben selbstverständlich auch Gespräche geführt in den Klassen. Aber wenn sich dann der zuständige Lehrer an den Diskussionen nicht beteiligt, mindert das natürlich seine Autorität. Man muss sich den Problemen stellen, und das tun eben nicht alle gern. Denn natürlich ist es schwierig, einem arabischen Jugendlichen zu sagen, wer Chef im Ring ist. Da muss ich mir Zeit nehmen, mich mit ihm auseinandersetzen und mit seinen verquasten Vorstellungen von Ehre, die der junge Mann ja nicht erfunden hat.

Was Sie in Ihrem Buch über die zahlreichen Aktivitäten schreiben, die im vergangenen Jahr an der Rütli-Schule stattgefunden haben, klingt ziemlich spöttisch. Nehmen Sie diese Projekte nicht ernst?

Ich habe nichts gegen solche Projekte. Aber es hat eine gewisse Ironie, dass sie nun auf diesen Brief hin stattfinden. Die Ideen sind ja nicht neu. Viele Projekte scheitern an der Finanzierung. Die Rütli-Schule musste sich Jahr für Jahr Geld erbetteln, um Schülermediatoren ausbilden zu können. Schließlich haben sich engagierte Lehrerinnen auf eigene Kosten qualifiziert, um das Projekt durchführen zu können.

Nach 36 Jahren Schuldienst und so einem Erlebnis am Schluss – hinterlässt das bei Ihnen das Gefühl, gescheitert zu sein?

Ich konnte ja eine ganze Menge umsetzen. Aber dass Rütli ein Synonym geworden ist für schlechte Schule, das hat mir wehgetan. Wofür ich immer gearbeitet habe, ist, dass Schule sich grundsätzlich ändert. Damit habe ich mich nicht durchsetzen können. Das ist richtig. INTERVIEW: ALKE WIERTH