: Bach mit Filtern und Postproduction
KLASSIK Der junge Pianist Francesco Tristano ist mit Klavierbearbeitungen von Technotracks bekannt geworden. Jetzt bringt der Musiker Bach und Cage zusammen und setzt dabei das Tonstudio ein wie ein Instrument
VON TIM CASPAR BOEHME
Artikel über Francesco Tristano beginnen oft mit seinem äußeren Erscheinungsbild. Das ist angesichts seines guten Aussehens durchaus gerechtfertigt, könnte aber eine falsche Fährte legen. Denn der 29-Jährige Luxemburger passt eigentlich so gar nicht in das Bild eines stromlinienförmig vermarktungswilligen Interpreten wie Vanessa Mae oder David Garrett. Der Musiker, der heute im Radialsystem sein aktuelles Album „bachCage“ vorstellt, sieht sich auch keinesfalls ausschließlich als Interpret, sondern genauso als Komponist und Produzent.
Mit seinem Repertoire hat sich Tristano auf Barock und Neue Musik spezialisiert, die unter Pianisten zum Mainstream zählende Epoche der Romantik spart er aus. In seinem künstlerischen Selbstverständnis allerdings sieht er sich ganz als Romantiker: „Im 19. Jahrhundert gab es keine Interpreten, das waren alles Komponisten, die auch gespielt haben. Bis Brahms waren alle Instrumentalisten auch Komponisten und Improvisatoren. Es war eine andere Art, die Musik zu verstehen, als heute, wo alles entweder auf Komposition oder Interpretation spezialisiert ist.“ Heute, sagt er, lernten die angehenden Konzertmusiker die immergleichen Werke auf stets dieselbe Art zu spielen. Dabei sei es bitter nötig, von der alten Musik regelmäßig „Updates“ zu machen, damit sie aktuell bleibe.
„bachCage“, Tristanos bei der Deutschen Grammophon erschienenes Major-Debüt, ist ein äußerst subtiles Update geworden. Mit seinen vorangegangenen Alben hat der Pianist verschiedene Möglichkeiten ausprobiert, elektronische und akustische Musik zu kombinieren, auf „Not for Piano“ etwa bearbeitete er Technoklassiker für sein Instrument, und auf dem im vergangenen Herbst erschienen „Idiosynkrasia“ verschränkte er Klavier und Elektronik so geschickt, dass man die beiden nicht mehr voneinander unterscheiden konnte. Jetzt also brave Klassikeinspielungen? Das passt nicht recht ins Konzept.
Wie Tristano jedoch versichert, bauen all seine Schallplatten aufeinander auf: „ ‚bachCage‘ ist das logische Follow-up von ‚Idiosynkrasia‘, weil ich viel von der elektronischen Musik gelernt habe und das am Klavier umsetze.“ Das Programm mag diesen Entwicklungsschritt nicht unmittelbar erkennen lassen, doch die mit dem Technoproduzenten Moritz von Oswald aufgenommenen Interpretationen zählen wohl zu den radikalsten Einspielungen, die es derzeit auf dem Klassikmarkt gibt.
Dabei ist Tristanos Spiel alles andere als ikonoklastisch. Der technisch überragende Virtuose legt vor allem Wert auf makellose Darbietung im Dienste der Transparenz. Seine Bach-Einspielungen klingen so klar wie mühelos, didaktische Polyphoniedemonstrationen sind ihm fremd. Cage gerät bei ihm dafür fast impressionistisch und zart, von Radikalität ist zunächst wenig zu merken.
Was „bachCage“ zum Experiment macht, sind die Mikrofontechnik und der furchtlose Einsatz von Postproduction. Für die Aufnahmen von Cage verwendeten er und von Oswald zum Teil Kontaktmikrofone, bei Bach wurden einige Mikrofone komprimiert, vereinzelt kamen sogar Filter zum Einsatz. „Das ist in der Klassik eigentlich ein totales Tabu, das macht man nicht“, so Tristano. Er schon: „Ich gehe in ein Studio rein und sehe all die wunderschönen Kisten und mache damit Sounds.“ Bei Bach klingt der Flügel daher mal wie ein Cembalo, mal wie eine Spieluhr, während man bei Cage gelegentlich meint, ein Gamelan zu hören.
Mit diesem Ansatz, das Tonstudio als Instrument einzusetzen, sieht sich Tristano in der Tradition Glenn Goulds, der seine Mehrspurbänder noch in mühseliger Kleinarbeit auseinanderschnitt und wie Puzzleteile neu zusammensetzte. Der menschenscheue Perfektionist Gould fühlte sich bei dieser zurückgezogenen Arbeit so wohl, dass er sich irgendwann komplett aus dem Konzertbetrieb zurückzog, um nur noch im Studio zu arbeiten.
Doch Tristano denkt nicht daran, die Bühne gegen das Studio einzutauschen. Für ihn ist beides gleich wichtig. „Ich mag die Bühne über alles, ich bin froh, wenn ich spielen darf.“ So wird er heute im Radialsystem ohne Postproduction arbeiten und das Instrument einfach für sich sprechen lassen. „Es sind zwei ganz verschiedene Sachen, weil live eine ganz andere Energie hat als eine Studioproduktion. Aber im Studio kann man schneiden. Im Studio wird man immer eine perfektere und ausgewogenere Version haben als live.“
■ Francesco Tristano: „bachCage“ (Deutsche Grammophon/Universal). Live heute und am 28. 4. im Radialsystem