: Selbstpüriertes schmeckt besser
Mit rund 550 Babyfertigprodukten umwirbt die Industrie frisch gebackene Eltern – und verunsichert sie. Ernährungsexperten raten jedoch, Babys mit selbst gekochten Breien auf gesundes Essen einzustimmen und ihren Geschmack so zu trainieren
VON JANET WEISHART
„Zwei Tage nach der Geburt stand plötzlich eine Frau vor meinem Bett. Sie schenkte mir Milch- und Breiproben, wollte meine Adresse“, erzählt Marie Friese (31) von ihrem Aufenthalt in einer Berliner Klinik. Als „frech“ empfand die neue Mama die Werbung der Babykosthersteller.
Eigentlich ist das Verteilen von Brei- und Milchproben seit 1994 verboten. Doch die Industrie agiert weiter. Denn: Wer frühzeitig wirbt, gewöhnt die Kleinen an sein Produkt. Ein weiterer Nebeneffekt der verteilten Proben: Mütter stillen früher ab. Jede zweite Mutter füttert bereits im 3. Monat das erste Gläschen. „Viel zu früh ist das. So bereitet man Kinder keinesfalls auf eine gesunde Ernährung vor“, klagt Hebamme Marlies Funke aus Berlin-Steglitz. „Verdauung, Immunsystem und Stoffwechsel sind noch nicht ausgereift.“ Allergien müssen befürchtet werden. Funke meint: „Außerdem kann ein zu früh erzwungenes Breifüttern später Essstörungen auslösen. Allein das Baby entscheidet, wann die Zeit für die sogenannte erste Beikost gekommen ist.“ Nämlich dann, wenn es aufrecht sitzen kann, den Kopf allein kontrolliert und nach dem Essen der Eltern verlangt. Meist zwischen dem 6. und 7. Monat werden nun zuerst Gemüse-Kartoffel-Fleisch-, dann Milch-Getreide- und Getreide-Obst-Brei eingeführt – und die Stillmahlzeiten langsam reduziert.
Spielerisch sollten Eltern zunächst ein Teelöffel mit ungesalzenem Gemüse anbieten. Eine Zutat ist genug. Denn Säuglinge sind dreimal geschmacksempfindlicher als Erwachsene und müssen sich an Neues erst gewöhnen. Keineswegs sollten sich Eltern von Packungstexten wie „nach dem 4. Monat“ verführen lassen und mit süßen Breien beginnen. Dies prägt den Geschmack zu früh in Richtung „süß“ und führt zu Übergewicht. Der Gemüsebrei wird zum Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Brei aufgebaut, um eine volle Stillmahlzeit zu ersetzen.
Spätestens vor Einführung des zweiten Breis fragen sich viele Eltern: „Gläschen oder selbst kochen?“ Experten raten bei Fertigprodukten: je einfacher die Rezeptur, umso besser. Baby- und Juniorbreie sollten nicht mehr als vier Zutaten enthalten, sonst fällt es im Nachhinein schwer, eventuelle Unverträglichkeiten einem Lebensmittel zuzuordnen. Die aktuelle Donald-Studie des Forschungsinstituts für Kinderernährung Dortmund (FKE) weist auf Defizite von Fertigkost hin: So enthalten Gemüse-Fleisch-Menüs etwa 40 Prozent weniger Fett als empfohlen. Eltern müssen darum einen Teelöffel Rapsöl zusetzen. Da sich der Fleischanteil seit 1988 um 20 bis 30 Prozent verringert hat, sollte täglich Fleisch gereicht werden, um akuten Eisenmangel und daraus folgenden kognitiven oder psychosomatischen Störungen vorzubeugen. „Fertige Obstbreie und Milchbreie sind oft zu süß“, sagt Annett Elnain von der Zeitschrift Öko-Test. Bei Letzterem enthält jedes dritte Fertigprodukt zu viel Zucker oder zu viele Proteine. Problematisch, da Forscher derzeit einen Zusammenhang zwischen erhöhter Proteinzufuhr und späterer Adipositas diskutieren.
Die Vorteile von Fertigprodukten sind letztlich oft geringere Schadstoffe sowie Zeitersparnis beim Zubereiten. Wer Beikost jedoch mit frischen, ökologischen Nahrungsmitteln nach Empfehlungen des FKE kocht, ernährt sein Kind ebenso schadstoffarm sowie vielfältiger, ausgewogener und auch preiswerter. Kinderärztin Dr. Elke Roman-Jäger rät ausschließlich zum Kochen, weil „Industriekost etwa 2.000 erlaubte – aber nicht deklarierte – Zusatzstoffe enthält“.
Vor allem Geruch und Geschmack sind bei Selbstpüriertem mannigfaltiger, da Industriekost beim Konservieren an Geschmack verliert. Dabei ist es genau jene „Geschmacksvielfalt, die über die zukünftige Akzeptanz von Gerichten entscheidet. Je natürlicher der Geschmack der Beikost, desto eher nehmen Kinder später gesunde, gemischte Kost und verschiedene Geschmacksrichtungen an“, erklärt Ernährungswissenschaftlerin Mathilde Kersting vom FKE. Das heißt aber nicht, „Babys überall kosten zu lassen. Die drei Breimahlzeiten sind bindend“, sagt Ärztin Jäger-Roman. Allergene Lebensmittel wie Nüsse, Honig oder Fisch dürfen erst im zweiten Lebensjahr eingeführt werden. Den Grundstein für eine gesunde Ernährung zu legen, heißt für die Kinderärztin auch: „Finger weg von speziellen Kinderprodukten wie Babypudding und -säften. Das sind Dickmacher.“
Wurden alle drei Breie eingeführt, geht die Babykost etwa ab dem 10. Monat in eine Familienernährung über. Nach dem Motto „Bunt ist besser“ sollten Eltern Kinder jetzt an unterschiedliche Formen von Gemüse und Obst gewöhnen. Forscher der Uni Birmingham begründen, warum: „Vorlieben für Nahrungsmittel werden visuell geprägt. Wer als Baby immer nur Zwieback isst, bevorzugt später bräunliche Lebensmittel wie Pommes.“
Weitere Infos: www.fke-do.de