Der gute Mensch von RAFistan

Gestern im „SZ“-Streitgespräch, vorgestern bei Maybrit Illner: Welche Rolle spielt Claus Peymann in der RAF-Debatte?

Dies vorweg: Es muss sie einfach geben, die Peymänner. Diejenigen, die die Spielräume der Kunstfreiheit nutzen, um den engen Zusammenhang von Kunst- und Narrenfreiheit deutlich zu machen. Dies ist keineswegs abträglich gemeint. Freiheit der Kunst hat viel mit dem Satyrspiel zu tun, dem heiteren Nachspiel, das im klassischen griechischen Theater den Tragödien folgte. Wo, wenn nicht hier, darf Anstößiges geäußert werden?

Ein gewisser Karl Marx wendete diese Idee einer kathartischen Abfolge ironisch, als er die Vermutung äußerte, historische Tragödien wiederholten sich manchmal als Farce. Derzeit erleben wir eine solche Farce in der so genannten RAF-Debatte, und Claus Peymann spielt darin eine Hauptrolle. Gewappnet mit solidem Theaterwissen erklärt er Christian Klar zur „tragischen Figur“. Und überhaupt erklärt er gern und viel. Und nicht immer ist es nur Unsinn, was er sagt. „Ja, wenn man den historischen Hintergrund, den Vietnamkrieg und den großen Weltverbesserungstraum ausblendet, dann stehen die Terroristen nur noch als kalte Killer da. Eine RAF-Debatte, die Sinn machen soll, müsste aber genau diesen Kontext rekonstruieren. Warum, müssten wir fragen, ist ein großer Traum so grausam umgekippt? Wie wurde aus dem Traum der Befreiung der Alptraum des Terrorismus?“ Da hat er Recht. Oder hätte Recht, wenn solche Sätze nicht regelmäßig nur das Vorspiel zu höchst seltsamen Rechtfertigungen für politisch törichte und mit großer Kälte ausgeführte Morde wären.

Richtig schlimm wird es dann, wenn er seine Kompetenz als Künstler in die Waagschale wirft und das Phänomen RAF ästhetisch überhöht. Peymann nimmt seine Rolle als Provokateur bitter ernst – und kann sich über Mangel an Publizität nicht beklagen. Dies Interview hier, diese Talkshow da – und immer gibt es nur einen, der einsam und tapfer das blutrote Fähnchen hochhält. Manchmal kommt es einem vor, als wolle Peymann höchstpersönlich Bölls berühmtes Diktum über die RAF: „Sechs gegen 60 Millionen“ überbieten.

Und bisweilen denkt man, er führe mit seinen Auftritten genau das vor, was er das „Kippen des großen Traums“ nennt: die Idioten-Logik der Radikalisierung, die immer dann zuschlägt, wenn einem nicht genügend innere Spielräume zur Verfügung stehen, einmal Geäußertes zu differenzieren – oder gar zu revidieren. Aber dann wäre man ja Revisionist. Und genau das wäre das Letzte, was Salonrevolutionäre sein möchten.CHRISTIAN SCHNEIDER