ZWISCHEN DEN RILLEN
: Schön, schäbig und charmant

Karen O: „Crush Songs“ (Cult Records/ Rough Trade)

Die Bühne ist in tiefes Schwarz getaucht. Licht spendet einzig der auf eine Leinwand gezogene Mond, er leuchtet die beiden Protagonisten aus. Barfüßig und in einer knallroten Robe haucht Karen O die Zeilen von „The Moon Song“ ins Mikrofon. Begleitet wird sie dabei von Vampire-Weekend-Sänger Ezra Koenig, der die Saiten seiner Gitarre sanft anspielt. Erst am Textende finden ihre beiden Stimmen zueinander: „Making sure that I’m okay / And we’re a million miles away / A million miles away / A million miles away“: Zerbrechlich und schaurig schön ist dieser romantische Moment, der die Oscar-Verleihung in Los Angeles Anfang März veredelte.

Karen O, bürgerlich Karen Lee Orzolek, erhielt für „The Moon Song“, ihren Beitrag zum Soundtrack von Spike Jonzes’ romantischem Science-Fiction-Drama „Her“, eine Nominierung in der Kategorie „Beste Filmmusik“. Und wie sich nun herausstellt, hat die gebürtige Südkoreanerin dafür nicht zum ersten Mal ihr schrilles, exzentrisches Auftreten als Sängerin der Yeah Yeah Yeahs mit feinsinniger Melancholie substituiert.

Kreuzzug der Liebe

Jetzt erscheint auch Karen Os Solo-Debütalbum „Crush Songs“: 14 Lieder, die zwischen 2006 und 2007 in ihrem Schlafzimmer entstanden sind. Bei der 27-jährigen Musikerin wird daraus ein „ganz persönlicher Kreuzzug der Liebe“.

Einen günstigeren Zeitpunkt zum Launch ihrer Solokarriere hätte sich Karen O nicht aussuchen können. Die Yeah Yeah Yeahs verloren im vergangenen Jahr ihren Plattenvertrag – Karen O hatte die „Crush Songs“ derweil schon im Kasten. Ursprünglich war es nur Ventil für Liebeskummer. „Ich war unsicher, ob ich mich jemals wieder verlieben könnte“, schreibt sie im Booklet lakonisch.

Die Songs sind für Orzolek gleichzeitig das Vakuum der Vergangenheit und ein Aufbruch nach vorne. Ihr Portfolio hat sich in den letzten Jahren enorm erweitert: Soundtracks („Where the wild Things are“), Theaterstücke („Stop The Virgins“ – eine Rock-Oper, uraufgeführt 2011 in Brooklyn), nicht zuletzt gilt sie auch als übersprudelnde Ideengeberin ihrer Band.

Nicht zu blumig

„Crush Songs“ ist ein Konzeptalbum über die Liebe. Dabei verherrlicht die Musik weder allzu blumig das Thema, noch weist sie überladenes Pathos auf.

Dem Wahnsinn des Moments gilt auf „Crush Songs“ Karen Os ganze Aufmerksamkeit. Die widrigen Umstände sind der Musik auch deutlich anzuhören. Erfreulicherweise. Denn Orzoleks Debüt erinnert mehr an ein Demotape eines unentdeckten Talents als an ein sorgfältig ausformuliertes Soloprojekt eines Superstars. Einige Lieder sind nicht mehr als Skizzen: ein Gedanke, ein Akkord, ein Verblassen. Aber, wie schon bei „The Moon Song“, beweist Karen O die Fähigkeit, rohe Emotionen zu transportieren. Sei es Liebe, Einsamkeit oder Willensstärke.

Genauso reduziert wie die Produktion ist auch das eingesetzte Instrumentarium: Akustische Gitarre, Piano und Orzoleks introvertierter, gebrochener Gesang. Ihre Stimme flüstert die Songs oft, tut dies aber genauso intensiv wie es der jeweilige Track verlangt. Das Album derart simpel zu produzieren, ist gewagt, gleichzeitig scheint es aber die geeignete Methode, um Intimität und Rohheit beizubehalten. Jene dezenten Gedanken, die auf der Oberfläche geistlos poetisch wirken, in Wahrheit aber Allegorie für alle sind, die sich in der Utopie der Liebe schon mal verloren haben, waren es auch, die Strokes-Sänger Julian Casablancas davon überzeugten, das Material auf seinem eigenen Label Cult zu veröffentlichen.

„Crush Songs“ klingt nicht nach dem, was man sich von einem Debüt erwartet hätte, doch gerade der schäbig-schöne Charme, diese gewaltige Unkonstruiertheit des Albums, machen Karen O so wunderbar vollkommen. NADJA NEQQACHE

■ Live: 7. 10., Heimathafen, Berlin