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Archiv-Artikel

Mit Luftkanonen gegen Schweinswale

Energiekonzern Wintershall darf in einem EU-Naturschutzgebiet in der Nordsee mit Schallwellen nach Gas und Öl suchen. Umweltschützer befürchten im UN-Jahr des Delfins die Vertreibung der geschützten Schweinswale aus ihrer Kinderstube

Flippers kleiner Vetter

Der Schweinswal (Phocoena phocoena) ist die einzige in Nord- und Ostsee heimische Walart. Die höchstens 1,80 Meter langen und 80 Kilo schweren Säuger gehören zu den Zahnwalen und sind die nächsten Verwandten der Delphine. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts tummelten sich die „Kleinen Tümmler“ noch in großer Zahl in Küstennähe und bis weit in die Unterläufe von Weser und Elbe, Oder und Trave hinein. Nach jüngsten Schätzungen leben in der Ostsee nur noch etwa 700 Schweinswale, in der inneren Nordsee sollen es rund 100.000 sein und noch einmal genau so viele zwischen Norwegen und Irland. In der näheren Umgebung der deutschen Westküste wurden im vorigen Jahr bei einem wissenschaftlichen Monitoring etwa 37.000 von Flippers kleinen Vettern gesichtet. Deren Kinderstube liegt vor den nordfriesischen Inseln Sylt und Amrum. 1999 wurde dort ein 1.400 Quadratkilometer großer Teil des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer zum Walschutzgebiet erklärt.  SMV

Von SVEN-MICHAEL VEIT

Viele Naturschutzgebiete, sagt Iris Menn, Meeresexpertin bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace, „bestehen eben nur auf dem Papier“. Wie das Areal rund um die Doggerbank mitten in der Nordsee, in dem der Konzern Wintershall jetzt mit Schallwellen aus Luftkanonen nach Öl- und Gasvorkommen suchen darf. Die Genehmigung dafür hat, wie gestern bekannt wurde, das Niedersächsische Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie in Clausthal-Zellerfeld am vorigen Donnerstag erteilt.

Ein Teil der Fläche ist jedoch nach der EU-Richtlinie Flora-Fauna-Habitat (FFH) geschützt. „Das ist unglaublich“, kritisiert Menn die Genehmigung. Denn bei der Doggerbank liegt auch ein zentraler Lebensraum und eine bevorzugte Kinderstube der vom Aussterben bedrohten Schweinswale, der einzigen vor deutschen Küsten heimischen Walart (siehe Kasten). Zwar stehe Deutschland im EU-Vergleich nicht schlecht da bei der Ausweisung von Schutzgebieten, sagt Menn: „Faktisch gibt es aber kaum Einschränkungen.“

Die BASF-Tochter Wintershall hatte beantragt, in dem teilweise auch zu Dänemark und Großbritannien gehörenden Bereich an der Grenze der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) nach Gas- und Öllagern suchen zu dürfen. Aus dem Echo „niederfrequenter Schallwellen“, die von Schiffen mit Luftkanonen in die Erdkruste geschickt werden, können die geologischen Schichten unter dem Meeresboden identifiziert werden.

Bis Oktober würden somit „Tag für Tag alle acht Sekunden Luftkanonen große Teile der Nordsee verlärmen und vermutlich alle Wale vertreiben“, empört sich Sigrid Lüber von der internationalen Schutzorganisation Ocean Care. Mit dieser „Verletzung europäischen Umweltrechts“ würde Deutschland in Kauf nehmen, „dass es bei den streng geschützten Schweinswalen unter anderem zu Frühgeburten durch Stress kommen kann“.

Die Meeressäuger würden „während der Zeit der Geburt und Aufzucht von Mai bis August keinen direkten Einwirkungen ausgesetzt“ sein, versichert hingegen Wintershall. Die Messungen direkt im FFH-Gebiet sollen bereits „im April abgeschlossen“ sein, danach würden sie in den anderen Teilen des Untersuchungsbereiches fortgesetzt. Es sei einer „der Grundwerte“ der Firma, „mögliche Beeinträchtigungen für Umwelt und Natur systematisch auf ein Minimum zu reduzieren“.

Wintershall betreibt auch die einzige deutsche Ölbohrinsel in der Nordsee. Auf der Mittelplate am Südrand des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer wurden seit 1987 mehr als 17 Millionen Tonnen Öl gefördert – „ohne jeglichen Zwischenfall“, wie sich die BASF-Tochter freut.

Es habe eine intensive Prüfung nach dem Bundesnaturschutzgesetz und internationalen Artenschutzabkommen gegeben, versichert Jens von den Eichen vom Landesamt gegenüber der taz. Deshalb sei die Genehmigung der Tests mit Auflagen versehen worden. Der Grenzwert der Schallwellen wurde von beantragten 260 Dezibel auf 180 abgesenkt und eine Sicherheitszone eingerichtet, in der bei Walsichtungen die Messungen abgebrochen werden müssen. Zudem habe seine Behörde einen „soft start“ verfügt. Die Tests müssen demnach „in einem Zeitraum von mindestens 20 Minuten in gleichmäßigen Intervallen gesteigert“ werden, so von den Eichen, damit Schweinswale ausweichen können.

Dennoch hat die Beschallungserlaubnis auch zu amtlichen Verstimmungen geführt. Das Bundesamt für Naturschutz (BfN), eine Abteilung des Bundesumweltministeriums, habe die Behörde in Clausthal-Zellerfeld auf eine mögliche Gefährdung für die Meeressäuger hingewiesen, berichtet Rainer Planke vom BfN. Das habe die Kollegen dort „aber nicht sehr beeindruckt“.

Immerhin ist 2007 von den Vereinten Nationen zum „Jahr des Delfins“ ausgerufen worden. Aus diesem Anlass will die Behörde des aus Niedersachsen stammenden Umweltministers Sigmar Gabriel (SPD) eine internationale Tagung zum Thema „Meeresschutzgebiete, Delfine und Kleinwale“ ausrichten, hatte seine Parlamentarische Staatssekretärin Astrid Klug im Dezember angekündigt. Ziel des Kongresses an einem noch nicht festgelegten Ort „an der deutschen Nordseeküste“ sei es, „Meeresschutzgebiete für Kleinwale und Delfine zu fördern“.

Dabei gehe Deutschland „mit gutem Beispiel voran“, behauptet Sozialdemokratin Klug. Ein „Netz von Schutzgebieten“ für die Schweinswale werde derzeit vor der deutschen Nordseeküste und in der Ausschließlichen Wirtschaftszone geschaffen.

Und an deren Rand beginnt das Areal von Wintershall.

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