: Harmonisches Krippenspiel
Bund, Länder und Kommunen verständigen sich auf ein gemeinsames Ziel: Sie wollen die Betreuung für Babys und Kleinkinder deutlich schneller ausbauen, als es bisher geplant war
AUS BERLIN COSIMA SCHMITT
Sie wollten nicht länger zaudern und zögern. Sie mochten nicht dastehen als die Politiker, die Deutschland hässliche Schlussplätze in europäischen Rankings bescheren. Gestern traf sich die Bundesfamilienministerin mit ihren LänderkollegInnen und Kommunalvertretern. „Krippengipfel“ tauften die Medien das Spitzentreffen, das der deutschen Kitadebatte neuen Schub verpasst hat: „Wir haben uns geeinigt“, verkündete Ursula von der Leyen (CDU). „Wir haben ein gemeinsames Ziel: Wir wollen endlich europäisches Niveau erreichen – und für jedes dritte Kind unter drei Jahren ein Betreuungsangebot schaffen.“
Das Treffen war nicht nur ein Novum in der Politgeschichte. Erstmals setzten sich Bund, Länder und Kommunen gemeinsam an einen Tisch, um über den Kitaausbau zu beraten. Es ist auch der Auftakt einer Großstrategie: Von der Leyen wollte klären, wie hoch der Bedarf in den einzelnen Ländern ist – und wie willig die Kollegen vor Ort sind, ihn zu bedienen. Mitte April will sie dann einen Plan vorlegen, wie die Kosten für den Kitaausbau aufgebracht werden könnten.
Überraschend stellten sich alle Länderminister hinter die Pläne von der Leyens, die Zahl der Betreuungsplätze in den nächsten Jahren auf 750.000 aufzustocken. Bis 2013 soll für 35 Prozent aller Kinder unter drei Jahren ein Angebot geschaffen werden. Dieser Mittelwert soll allerdings regional variieren. Denn die Politiker gehen davon aus, dass auch künftig Kitas in Großstädten stärker nachgefragt werden als auf dem Land. Im Umkehrzug sagte die Ministerin zu, sich „dafür einzusetzen, dass der Bund sich an dieser Kraftanstrengung beteiligt“. Gerade dieser Punkt war es, der auch die Skeptiker in der Runde bekehrt hat. „Erstmals hat sich der Bund zu seiner finanziellen Mitverantwortung bekannt. Bisher ist er ja eher kommentierend aufgetreten“, sagte Christian Ude (SPD), Präsident des Deutschen Städtetages.
Uneinig waren die Politiker allerdings in zwei Punkten: Nicht durchsetzen konnte sich die Front um Brandenburgs Jugendminister Holger Rupprecht (SPD), der gerne für jedes Kind ab einem Jahr einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz als Ziel verankert hätte. Umstritten war in der Runde auch, wie viel der Kitaausbau kosten wird. Das Ministerium geht davon aus, dass im Zieljahr 2013 dafür 3 Milliarden Euro nötig sind. Die Kommunen rechnen mit mindestens 4 Milliarden Euro. Eine Arbeitsgruppe soll nun klären, welcher Wert realistisch ist. Noch rechnen die Politiker mit unterschiedlichen Grundlagen. So geht von der Leyen davon aus, dass sich 30 Prozent der Plätze mit den kostengünstigeren Tagesmüttern abdecken lassen. Rupprecht hält allenfalls 20 Prozent für machbar.
Der gestrige Tag zeigte aber auch, wie weit die Debatte um einen umfassenden Kitaausbau vorangeschritten ist. Die Diskussion, ob er nötig ist, führen Fachpolitiker schon lange nicht mehr.
Dass es von der Leyen gelungen ist, die Länderminister hinter sich zu bringen, dürfte indes auch empirische Gründe haben. Von der Leyen kann sich in ihrer Argumentation auf eine wichtige Quelle stützen: den Willen der Betroffenen. Eine Ahnung, was Eltern wünschen, erlaubt die bislang einzige umfassende Untersuchung zum Thema: die Studie „Wer betreut Deutschlands Kinder“, verfasst vom Deutschen Jugendinstitut, für die Forscher etwa 8.000 Eltern befragt haben. Demnach hätte ein Drittel aller westdeutschen Eltern gerne einen Betreuungsplatz für ihr Kleinkind. Im Osten ist es sogar die Hälfte. Sollen die Elternwünsche erfüllt werden, bräuchte es 540.000 zusätzliche Betreuungsplätze, ermittelten die Forscher. Da aber nicht alle Eltern so handeln, wie sie es in Befragungen sagen, korrigierten die Autoren den Wert etwas nach unten: 445.000 halten sie für eine realistische Zahl, wie viel Kitaplätze in Deutschland tatsächlich genutzt würden.
Von der Leyen hat also die Wissenschaft auf ihrer Seite, wenn sie ihre Länderkollegen zum Handeln anhält. Einfach aber ist ihre Mission trotz des gestrigen Erfolges nicht. Die Ministerin ist nun in der Pflicht, Finanzhilfen des Bundes zu organisieren. Doch die muss sie dann auch in der eigenen Fraktion durchsetzen. Und dort wollen längst nicht alle den progressiven Weg der Ministerin mitgehen – und längst nicht alle wollen ihn mitfinanzieren. Dabei ist für von der Leyen ein Verhandlungserfolg schon deshalb wichtig, weil sich ihre Politik nur so zu einer schlüssigen Gesamtstrategie fügt. Will sie wirklich bessere Bedingungen für berufstätige Mütter schaffen, reicht es nicht aus, 14 Monate lang Elterngeld zu überweisen. Es muss den Frauen auch möglich sein, ihre Kinder danach betreuen zu lassen.
Eine Debatte immerhin konnte von der Leyen gestern vorerst beenden: den Unmut, mit dem sich kurz vor dem Gipfel die ostdeutschen Bundesländer zu Wort meldeten. Lange war von ihnen kaum die Rede gewesen. Schließlich bieten sie schon jetzt im Schnitt vier von zehn Kleinkindern einen Krippenplatz, ein vergleichsweise vorbildlicher Wert. Nun aber verkündeten mehrere ostdeutsche für Familie zuständige Minister, auch sie wollten bedacht werden, wenn der Bund Gelder für den Kitaausbau umschichtet (siehe Interview). Von der Leyen gab nach – sehr zur Freude von Brandenburgs Minister Rupprecht: „Das ist ein gutes Ergebnis. Frau von der Leyen hat festgestellt, dass es keine Benachteiligung der Länder geben wird, die schon weiter vorangeschritten sind, etwa von Brandenburg.“
Viel hängt nun davon ab, wieweit von der Leyen dem Versprechen einer Bundesbeteiligung Taten folgen lassen kann. Ob Deutschlands Eltern künftig wirklich wählen können, ob sie ihr Kind zu Hause betreuen oder in die Kita geben – das wird sich erst in den nächsten Monaten zeigen.