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Archiv-Artikel

Im Schatten der Korruption

Interpol lässt nach der Revolution in Ägypten weltweit nach einem flüchtigen Intimus von Expräsident Husni Mubarak suchen: Hussein K. E. I. Salem. Der 77-Jährige war immer wieder auch Gast in Baden-Württemberg. Hussein Salem gilt als korrupter Vertreter des alten Kairoer Regimes. Der frühere Geheimdienstoffizier hat als Waffenhändler, Ölmagnat und Hoteltycoon an der Südspitze des Sinai ein Milliardenvermögen angehäuft. Auch die deutsche Politik und Firmen aus Baden-Württemberg durften in seinem Windschatten von ihm profitieren

von Meinrad Heck

Fürs Telefon war diese Geschichte viel zu heiß. Es ging um eine Menge Geld für ein Kraftwerksgeschäft im ägyptischen Alexandria, und es ging um einen reichen arabischen Investor und sein Wohlwollen. Dieses Wohlwollen hatte etwas mit einer sogenannten Finanzierung zu tun. Wohlgemerkt, eine sogenannte – diese sprachliche Einschränkung sei erlaubt. Denn die Geschäftsführerin eines kleinen badischen Tochterunternehmens namens FlowWaste ließ am Nachmittag des 20. November 1998 um 15.16 Uhr ihrem Boss vom Mutterkonzern einen vieldeutigen Brief faxen. Sie erwähnte darin das Kraftwerksgeschäft, das sie an Land ziehen wollte, und dabei legte sie Wert darauf, das Wörtchen „Finanzierung“ in Anführungszeichen zu setzen, als ginge es um etwas ganz anderes.

Was immer das bedeuten mochte, ob gar nichts dahintersteckte, ob es ein Wink mit dem Zaunpfahl sein sollte oder womöglich Schmiergeldzahlungen gemeint waren, um an den Auftrag zu kommen – diese Geschichte schien der Dame so brisant, dass sie ihrem Chef ausdrücklich erklärte, sie werde über die besagte „Finanzierung“ der Geschäfte mit dem ägyptischen Investor Hussein K. E. I. Salem nur „persönlich“ und ausdrücklich „nicht am Telefon“ sprechen.

FlowWaste war damals eine kleine Firma im baden-württembergischen Ettlingen bei Karlsruhe. Zu einer gewissen Berühmtheit hatte es die Geschäftsführerin gebracht, weil sie über ihren Onkel, einen FDP-Ehrenvorsitzenden, an die besser verdienenden Liberalen angedockt hatte und bis in die Landesregierung hinauf so gut vernetzt war, dass es schien, als würde mancher Minister schon mal gern nach ihrer Pfeife tanzen. Bekannt geworden war sie aber vor allem, weil sie eigentlich an der kurzen Leine eines gewissen Manfred Schmider laufen durfte.

Dieser Manfred Schmider hatte mit einem seinerzeit legendären Unternehmen namens FlowTex in Baden-Württemberg den größten Wirtschaftsbetrug der deutschen Nachkriegsgeschichte hingelegt. Er hatte fantastische Geschäfte mit kreditfinanzierten Hightechbohrgeräten gemacht, die gar nicht existierten, und dabei mehr als hundert Banken und Leasingunternehmen um knapp 1,1 Milliarden Euro erleichtert. Später sollte er deshalb für siebeneinhalb Jahre in den Knast wandern.

Damals noch ein visionärer Vorzeigeunternehmer

An jenem Novembertag des Jahres 1998 durfte Manfred Schmider im Musterland Baden-Württemberg aber noch als ein visionärer Vorzeigeunternehmer gelten, und Hussein Salem war ein viele hundert Millionen Dollar schwerer Investor, für dessen Vergangenheit sich kaum einer interessierte. Er war gerade dabei, in Scharm al-Scheich an der Südspitze des Sinai ein Luxushotel nach dem anderen zu eröffnen. Er sollte später mit Israel Erdgasgeschäfte in einem Volumen von 2,5 Milliarden US-Dollar machen. Wegen dieses Deals konfrontiert ihn jetzt die nachrevolutionäre ägyptische Justiz mit massiven Korruptionsvorwürfen. Ende Januar 2011 verließ Salem eilends Kairo, was ihn am 22. April als „flüchtig“ auf die „Wanted-Liste“ von Interpol brachte. Die ägyptische Justiz hat sein Vermögen eingefroren, einen nationalen Haftbefehl gegen ihn ausgestellt und Interpol um Hilfe gebeten.

In jenen Novembertagen 1998 aber galt Salem vor allem als Erdölmagnat. Er wollte seine riesige Raffinerie bei Alexandria nördlich von Kairo mit einem neuen Gaskraftwerk unabhängig von der öffentlichen Stromversorgung machen. Dieses Gaskraftwerk sollte die Flowtex-Tochter FlowWaste zusammen mit Siemens bauen. Und es gelang mithilfe des damaligen liberalen baden-württembergischen Wirtschaftsministers Walter Döring tatsächlich, diesen Auftrag aus Ägypten an Land zu ziehen. Hussein Salem, so wurde gemunkelt, habe in Kairo Kontakte zur allerhöchsten Ebene. Das war eher eine Untertreibung. Er war und ist vermutlich heute noch einer der besten Freunde von Präsident Husni Mubarak. Ägyptische Medien bezeichnen ihn als den „Front Man“ oder „das Double“ Mubaraks. Eingeweihte wissen zu berichten, die beiden hätten sich in jenen aus ihrer Sicht besseren Tagen vor der ägyptischen Revolution vom Februar 2011, als Mubarak noch nicht in Haft und Salem noch nicht auf der Flucht war, einmal pro Woche zu Squash und Backgammon in einer ihren Residenzen am Roten Meer getroffen. Ihre Männerfreundschaft reicht zurück in die 1970er Jahre, als im US-amerikanischen Camp David mit dem Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten Weltgeschichte geschrieben wurde. Beide durften an dieser Geschichte mitschreiben – Mubarak als Vizepräsident unter Anwar al-Sadat, Hussein Salem als Waffenhändler und Mitglied des ägyptischen Militärgeheimdienstes. Dass Tel Aviv und Kairo Frieden schlossen, war nur ein Teil des Deals. Der zweite hatte wiederum mit viel Geld und mit noch mehr Waffen zu tun. Ägypten löste sich damals aus dem sowjetischen Einflussbereich und geriet unter die Fittiche der USA. Im Gegenzug gab es modernstes Kriegsgerät. Das Land erhielt ab 1979 US-Militärhilfe von 1,5 Milliarden Dollar und kaufte dafür in den Staaten Panzer, Flugzeuge, Raketen und Munition aus amerikanischer Produktion. Das Material musste nur irgendwie über den Großen Teich geschippert werden, und das war die Stunde Hussein Salems.

Exklusivauftrag zum Waffentransport nach Kairo

Salem hatte mit dem Ex-CIA-Agenten Thomas Clines im August 1979 in Falls Church im US-Bundesstaat Virginia eine Egyptian American Transport and Services Corporation (Eatsco) gegründet, 51 Prozent des Kapitals gezeichnet und dank seiner exzellenten Beziehungen „on the highest level“ vom Pentagon den Exklusivauftrag zum Transport der Waffen nach Kairo erhalten. Auch das war nur ein Teil der Wahrheit. Kairos Waffendepots füllten sich einerseits mit modernem Kriegsgerät aus den USA, mit Phantom Jets, tausenden von Luft-Luft-Raketen, F-16-Kampfflugzeugen, hunderten von Panzern, Panzerabwehrraketen oder Herkules-Transportflugzeugen. Aber so wie sich diese Depots mit neuem Material füllten, wurde das alte Gerät aus Sowjetzeiten von Kairo verhökert.

Verlässliche Zahlen dazu gibt es im Archiv des Internationalen Instituts für Friedensforschung (Sipri) in Stockholm. Demnach lieferten die Ägypter mindestens 30 ausrangierte Sowjetpanzer aus ihren Beständen nach Bangladesch, ab 1981 mindestens 250 Tanks in den Irak, der sie im Krieg gegen den Iran einsetzte. 65 Panzer und 75 SAM-Luftabwehrraketen gingen ins später vom Bürgerkrieg geplagte Somalia. Auf der weiteren Kundenliste für schwere Sowjetwaffen aus ägyptischen Depots standen Ruanda, Kamerun, Kongo, Sudan und selbst die USA. Die US-Streitkräfte erhielten während des Kalten Krieges über Kairo 1981 heiß begehrte Technologie des damaligen Erzfeindes UdSSR. Beispielsweise vier seinerzeit hochmoderne Kampfjets vom Typ MiG 23, die sie beim eigenen Pilotentraining „als Feindflugzeug“ benutzten.

Welche exakte Rolle bei diesen Deals jener Hussein Salem und der spätere Präsident Husni Mubarak gespielt haben, wollen jetzt ägyptische Oppositionelle von der Justiz in Kairo klären lassen. Denn beide Männer genossen seit Camp David eine besonders lukrative Geschäftsverbindung. Dahinter gekommen waren zunächst das FBI und ein Untersuchungsausschuss des US-Kongresses im Jahr 1984. Und es war eher ein Kollateralschaden gewesen.

Allzu viele Details könnten peinlich für Mubarak werden

Der Ausschuss und FBI-Agenten hatten sich mit illegalen Waffentransporten der Reagan-Administration beschäftigt, vor allem mit der sogenannten Iran-Contra-Affäre. Dabei hatten sie Archive durchstöbert und waren eher am Rande auf Hussein Salem gestoßen. Seine Waffentransportfirma Eatsco wurde plötzlich als Betrugsunternehmen enttarnt. Salem konnte nachgewiesen werden, dass er zwischen 1979 und 1981 als exklusiver Waffentransporteur dem Pentagon in 34 Fällen überhöhte Rechnungen gestellt und die US-Regierung um knapp 8 Millionen Dollar betrogen hatte. Auf mehreren tausend Seiten dokumentierte der Kongressausschuss diese Untersuchungen.

Die Story war zwar nur eine Randnotiz der weit spektakuläreren Iran-Contra-Affäre, doch für Insider ging der Fall als Eatsco-Skandal in die US-Geschichte ein. Denn er war besonders brisant, weil Husni Mubarak nach Sadats Ermordung im Oktober 1981 Ägyptens neuer Präsident geworden war. Die Eatsco-Rechtsanwälte erklärten damals der US-Regierung, einer historischen Abhandlung des US-Professors Alan A. Block von der Pennsylvania State University zufolge, unmissverständlich, diese Betrugsermittlungen gegen den Mubarak-Freund könnten die Beziehungen zu Ägypten „belasten“ und allzu viele Details könnten „peinlich“ für Mubarak werden.

Also endete die Untersuchung vor einem Zivilgericht mit einem mehr als günstigen Vergleich. Salem bekannte sich im Juli 1983 schuldig, musste bescheidene 25.000 US-Dollar Strafe bezahlen und erklärte sich bereit, der US-Regierung 3,02 Millionen US-Dollar zu erstatten. Damit war die Geschichte vom Tisch.

Hussein Salem aber hatte schon Jahre zuvor vorgesorgt. Sein Schlupfloch lag am Genfer See, und das hatte etwas zu tun mit einem sehr weit zurückliegenden Vorgang im Jahr 1974. Am Mittwoch, dem 14. August jenes Jahres, betrat ein 41 Jahre junger Mann am Genfer See den mondänen Sitz einer großen Schweizer Bank, wies sich mit einem wenige Monate zuvor in Kairo ausgestellten ägyptischen Pass mit der Nummer 234800 als Hussein Kamal Eddine Ibrahim Salem aus und eröffnete ein Nummernkonto. Es sollte vor allem einem Zweck dienen: nämlich dort die Millionensummen Schmiergeld aus den in Arabien weit verbreiteten sogenannten Kommissionen zu parken. Von diesem Konto würde Jahrzehnte später eine Spur nach Baden-Württemberg führen. Und das wäre Hussein Salem, einem der einflussreichsten Männer Ägyptens, beinahe zum Verhängnis geworden.