: Etwas Angst für jeden
Wie spiegelt sich das Gefühl, das in unserer Gesellschaft grassiert, in der zeitgenössischen Kunst wider? Im Mülheimer Museum Alte Post werden Schatten beleuchtet, die das Gemüt verdunkeln
VON KATJA BEHRENS
Seltsam deformierte Gestalten, Gliedmaßen, Leiber, nackte Haut, ein weit aufgerissener Mund. Die verstörende Fotogalerie stimmt ein auf die Geschichte, die hinter dem schwarzen Vorhang auf drei Leinwänden erzählt wird. Leere Korridore, technische Apparate, Menschen in weißen Kitteln oder nackt auf einer Bahre schlafend, eine weinende Frau. Die in den 1940er Jahren in London entwickelte Tiefschlaftherapie, die auf Forschungen der CIA zurückgeht, sollte traumatische Erinnerungen vergessen machen. Mit dem künstlichen Koma wurden dann zwischen 1962 und 1979 in einem Krankenhaus in Sydney psychische Leiden wie Wahnvorstellungen, Depressionen und Schizophrenie behandelt. Dass viele der Patienten bleibende Schäden davontrugen oder sogar starben – der Skandal wurde jahrelang vertuscht und erst 1980 öffentlich. Der australische Künstler Dennis Del Favero (54) war als Achtzehnjähriger auf Drängen seiner Eltern selber Angstpatient – und Opfer einer Behandlung, die die Furcht erregenden Erinnerungen bekämpfen sollte und dafür grausam an den Menschen herumwerkelte. Dem „Körpergedächtnis“ konnte auf diese Weise nicht beigekommen werden, es erwies sich letztlich als stärker.
Die Ausstellung „Kava Kava – Facetten der Angst“ im Museum Alte Post in Mülheim an der Ruhr versucht sich einem Menschheitsthema zu nähern – und macht auf weiten Strecken vor allem deutlich, wie schwierig es ist, ein allgegenwärtiges und gleichzeitig höchst persönliches Phänomen wie Angst ästhetisch oder konzeptuell zu fassen. An der thematischen Gruppenausstellung sind insgesamt vierzehn KünstlerInnen beteiligt, die sich in verschiedenen Medien dem Thema des „defensiven Pessimismus“ nähern.
Del Favero hat mit der Fotoserie „Threshold“ und der Videoinstallation „Deep Sleep“ die vielleicht beklemmendsten Arbeiten zum Thema geschaffen: Dunkle Bilder aus dem Innern der eigenen Erinnerungen, die, indem sie nun Kunst geworden sind, für ihn vielleicht doch endlich eine heilsame Kraft entwickeln. Viele der anderen ausgestellten Positionen beschwören eher illustrativ und in bekannten Bildern die geläufige Ikonographie der Angst herauf: düstere Orte, schreckhafte Tiere, finstere Mächte und bedrohliche Technologien. „Angst ist eben ein spannendes Thema“, so die Kuratorin Ines Wiskemann.
Auf den dunklen Pfaden unseres Unbewusstseins begegnen wir vor allem den medial sanktionierten Angst-Bildern. Zur wirklichen Angstproduktion eignen sich die filmischen Medien viel besser als die stillen stummen Bilder. Denn hier kann man, auch wenn die Effekte oft vorhersehbar sind, eintauchen und sich vom Erschrecken und der eigenen Panik treiben lassen. Wenn etwa Michal Kosakowski in seiner Videoarbeit „Just like the Movies“ die Ereignisse des 11. September aus Spielfilm-Schnipseln, die alle vor 2001 entstanden sind, zusammenmontiert und mit eigens komponierter Klaviermusik unterlegt, wird klar, wie viel die Bildsprache der Angst der Blicklenkung des Films verdankt. Es ist hier wohl weniger die prophetische Gabe des Kinofilms als die in den Klischeebildern aufgelöste tatsächliche Wirklichkeit von CNN und MSNBC, die uns den Schrecken erleben lässt. Die Wirklichkeit wird von der Kunst überformt.
Aktuellen Diagnosen des Lebensgefühls zufolge sind die Menschen heute mehr denn je von Angst getrieben. Ob es einen konkreten Anlass dafür gibt oder nicht, ob reale Erfahrungen oder reale Paranoia: Das Gefühl der Bedrohung scheint zu wachsen. Es gibt natürlich gute Gründe für kollektives Unbehagen. Offensichtlich aber hat die Kunst wenig dazu beizutragen, diese Ängste zu vertreiben. Immerhin eignet sich manches Werk unsere Fehler an, diagnostiziert, analysiert, und kommentiert. Insgesamt rennen jedoch auch die Bilder der Angst hinterher: Der subjektiven wie der kollektiven, der lauten wie der unhörbaren. In der Mülheimer Ausstellung ist vermutlich für jeden etwas dabei. Nur um die unerotische Furcht vor Hartz IV kümmert sich Kunst eher selten. Vielleicht wäre das ja ein Grund, die beruhigende Wirkung der Kava-Wurzel von den Südsee-Inseln einmal selbst zu probieren.
Bis 10. Juni 2007 Infos: 0208-4554138 Vom 18. bis 20. Mai findet anlässlich der „stücke 07“ im Theater an der Ruhr ein Symposium zum Thema Angst statt