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Archiv-Artikel

„Fehlendes Vertrauen in die Kreativität“

Gedruckte Anachronismen: Werbefachmann Harald Schweers über starke Bürgermeister, zu kleine Großbuchstaben, Überraschungen, visuelles Abprallen, die Abwesenheit von Inspiration und einen „Hauch von Dialog“. Eine kurze Analyse des derzeitigen Plakat-Angebots im Bremer Wahlkampf

HARALD SCHWEERS, Mitinhaber von Haase & Knels + Schweers, hat einen Lehrauftrag an der HfK im Bereich „Mensch und Kommunikation“

Interview: Henning Bleyl

taz: Herr Schweers, die erste Staffel der Wahlplakate hängt. Ist dieser Aufschlag aus fachlicher Sicht gelungen?

Harald Schweers, Creative Director: Was jetzt zu sehen ist, erinnert mich an Zirkusplakate – das ist nicht die hohe Kunst der Gestaltung. Vielleicht ist es ohnehin ein Anachronismus, die Stadt derart zuzupflastern.

Die SPD titelt unter anderem: „Bremen inspiriert uns“. Ihrerseits fühlen Sie sich von der Werbung der Sozialdemokraten also nicht inspiriert?

Nein. Aber Wahlwerbung ist auch ein sehr schwieriges Geschäft. Ich kann mir gut vorstellen, wie viele Leute bei so einem Prozess mitreden. Aber erinnern Sie sich an Scherfs Fahrrad-Plakat aus dem letzten Wahlkampf – das war richtig gut.

Diesmal scheinen sich die Sozialdemokraten einer „Neuen Sachlichkeit“ hingeben zu wollen. Finden Sie diese Linie überzeugend umgesetzt?

Farblich ist das mit dem zurückgenommenen Rot durchaus stimmig gemacht. Außerdem transportieren die Plakate – als einzige – einen Hauch von Dialog. Die Aufgabe besteht natürlich darin, Böhrnsen gut in Szene zu setzen und ihn von Scherf abzugrenzen. Deswegen wohl das Bemühen, Inhalte zu kommunizieren. Als Anzeigenkampagne wäre das auch okay, Plakate hingegen müssen schnell erfassbar und erfahrbar sein. Das funktioniert hier schon allein aufgrund der Buchstabengröße nicht.

Flankiert werden die optimistischen Sätze von Kopfplakaten: Viel Böhrnsen, im Hintergrund Dom-Schemen, darunter: leere Fläche.

Vielleicht wollte sich Böhrnsen damit bewusst von Werbung absetzen. Aber ich würde gern mehr über ihn erfahren.

Wie steht es mit dem „starken Bürgermeister“ der CDU?

Der hat das Problem, das Wort- und Bildmessage nicht zusammenpassen. Röwekamp strahlt auf dem Foto eher etwas Sensibles aus.

Das passt dann ja zu seinem Kinderplakat.

Ja. Es ist durchaus mutig, dass Röwekamp hier die übliche Politikerpose verlässt und sich auf einen Holzelefanten setzt. Aber insgesamt vermisse ich in diesem Wahlkampf absolut das nach vorn Gerichtete. Da ist zu viel Bestätigung von Vertrautem, ich will aber überrascht werden. Man müsste wesentlich mehr Kreativität zulassen und den Kreativen dabei auch vertrauen.

Vor vier Jahren war die PDS graphisch ganz vorn. Jetzt erschlägt die „Linke“ den Betrachter mit „Hier ist“ – wobei das „i“-Tüpfelchen Erwähnung verdient: ein auf der Seite liegendes spitzwinkliges Dreieck, fast schon ein Wimpel. Bringt der genügend Dynamik auf die Fläche?

Das Plakat schafft sich durchaus Raum und knüpft an linke Traditionen an. Während das gebrochene SPD-Rot eindeutig ein Schritt zur Mitte ist, hat das deutlich leuchtendere Rot der „Linken“, zusammen mit dem aggressiven Gelb, die Message: Wir sind frech, laut und trotzig.

Die FDP bietet derzeit Bildung, Sicherheit und den leeren Spacepark. Ein gutes Angebot?

Die Plakate haben eine geschlossene Oberfläche, an der man visuell abprallt. Auch das Blockhafte und die Balken stören mich. Als Bürger will ich ja signalisiert bekommen, dass mich die Politiker verstehen. Gerade die FDP müsste sich wesentlich geschmeidiger präsentieren.

Die 100 Euro-Kröte der Grünen: Hüpft da wenigstens das Werber-Herz?

Nein. Die Doppeldeutigkeit des Textes ist ganz lustig, aber das hätte man vor 20 Jahren auch schon so machen können. Dazu kommt, dass Frau Linnert nicht gut fotografiert ist. Da stimmen Ausleuchtung und Hintergrund einfach nicht.

Ist das bei Böhrnsen und Röwekamp besser?

Ja. Insgesamt muss ich sagen, dass die beiden großen Parteien graphisch am besten rüberkommen.

Die können auch am meisten Geld dafür ausgeben. Sind Parteien beziehungsweise deren Programme und Kandidaten ein Produkt wie jedes andere?

Durchaus. Schröder als Medienkanzler hat sich absolut zum Produkt gemacht und damit etwas losgetreten.

Die Rechtsextremen haben den Sex entdeckt, wenn auch in Autoreifenhändler-Manier. Bringt‘s das?

In diese Zielgruppe kann ich mich, bei aller Empathie, nicht hineinversetzen. Das ist nun wirklich das Allersimpelste.

Erotisierte Werbung gibt es mittlerweile für alles – Kirchenmitgliedschaften vielleicht ausgenommen. Wird dieser Trend nicht auch in der Politik ankommen?

Vielleicht – aber das kann ich letztlich noch nicht einordnen.