KURZKRITIK: BENNO SCHIRRMEISTER ÜBER PILOTPROJEKT „ÇAPULCU“ : Etüde gestischer Vokabeln
Früher hieß es, verrätselt, TANK. Jetzt heißt es platterdings „Pilotprojekt“. Aber an der wunderbaren Tradition, dass die hiesige Bühnen-Saison damit beginnt, dass NewcomerInnen unter der Obhut von Junge Akteure, also der Theaterschule des Theater Bremen, eine erste Produktion unter professionellen Bedingungen zeigen, hat die Umbenennung nichts geändert. „Çapulcu“ hat Numan Jadalla sein Pilotprojekt genannt. Es ist ein insgesamt belangloser Bilderbogen zu den Ereignissen vom Gezi-Park in Istanbul.
„Çapulcu“, so hat der damalige türkische Ministerpräsident Recep T. Erdogan die Demonstrierenden geschmäht, die das Wort wiederum als Selbstbezeichnung aufgriffen. Wer das nicht weiß – bleibt dumm: Die Produktion verrät solche Details nicht, und es wirkt, als wolle sie einen Insider-Diskurs pflegen, der voraussetzt, dass alle ZuschauerInnen noch über ein von den türkischen Unruhen des Jahres 2013 erhitztes Herz verfügen. Eine abstrakte Sicht auf die Dynamiken von Revolte verbietet dieser Ansatz, während er die Niederungen des Konkreten offenbar für zu banal hält: Statt das Individuelle, die Geschichten vom Gezi-Park, fiktional oder dokumentarisch auf die Bühne zu holen, wird eine Namensliste der Toten vorgetragen. Sprechen oder auch nur als Geister erscheinen, das dürfen sie nicht. Der durchaus bildstarke Abend verkommt so zur Etüde gestischer Vokabeln und betroffenheitslyrischer Versatzstücke. Ausgerechnet deren denkbar schlimmstes, die Beteuerung, die Wörter würden fehlen, dem Geschehen beizukommen, markiert Anfang und Ende des Stücks. Diese Floskel aber besagt leider nur, dass man nichts zu sagen hat.