: „Stinksauer auf Knut“
Alle Welt himmelt einen Eisbären an. Interview mit einem schwer enttäuschten Küken
taz: Herr, äh, Küken, Sie haben sich …
Herr Küken: Bitte nennen Sie mich Knut.
Aber Sie heißen doch gar nicht Knut!
Na gut, dann sagen Sie eben Gustav zu mir.
Meinen Unterlagen zufolge heißen Sie Kevin.
Gustav ist der Künstlername.
Aha. Also, Gustav, Sie haben sich in einem offenen Brief …
Außerdem, wie klingt das denn: Kevin, das Küken?
Ja, das klingt blöd. Beantworten Sie jetzt aber bitte meine Frage. Sie haben sich in einem offenen Brief über Kükendiskriminierung beschwert. Warum?
Warumwarumwarum! Das liegt doch wohl auf der Hand. Alle Welt ist verrückt nach Knut, dem Eisbärenkind, und niemand spricht von mir. Knut versaut mir meine Karriere. Ich bin stinksauer auf den.
Sie meinen, Sie erhalten nicht genügend Aufmerksamkeit?
Das sage ich doch die ganze Zeit. Sehen Sie mich mal an. Bin ich flauschig?
Ja.
Habe ich hübsche dunkle Knopfaugen?
Vielleicht keine Knopfaugen, aber hübsch und dunkel sind sie.
Bin ich niedlich?
Sicher.
Und warum sind wir dann nicht von einer begeisterten Menge umringt? Wo sind Ihre Kollegen, vor allem die vom Fernsehen?
Vielleicht wissen einfach noch nicht genügend Menschen, dass es Sie gibt.
Ach so, Sie meinen, ich hätte keine ordentlichen Vorbereitungen getroffen? Himmelnochmal, ich bin exakt zu Ostern geschlüpft. Am Gründonnerstag, um genau zu sein. Perfektes Timing! Freitag hätten Fotografen und Fernsehteams genug Zeit gehabt, ihre Bilder zu machen. Ich hätte am Wochenende auf jeder Titelseite sein können und in der „Tagesschau“. Und der blöde Bär ist noch nicht einmal gelb.
Na, na, na …
Stimmt aber doch! (mit Fistelstimme) „Knut knabbert an einem Stöckchen!“ Wie entzückend! Und jetzt gucken Sie mal her! (er knabbert an einem Stöckchen) Kein Problem für mich! Und das ganze Geschwafel von wegen „Hach, der ist so süß und tapsig“! Der tleine Eisbär ist umtefallen, oooch … Was der kann, kann ich schon lange! (er fällt um)
Gustav, nehmen Sie sich bitte zusammen!
Was denn! War das etwa nicht tapsig? Und süß?
Nein. Stehen Sie wieder auf. Sie sehen aus, als wären Sie krank.
Okay. Obwohl einen das wirklich krank machen kann. Ich meine, wer von uns beiden wird denn in ein paar Monaten in der Lage sein, seinem Pfleger den Kopf abzureißen? Wer futtert am liebsten Robbenfleisch? Robbenbabyfleisch sogar! Stellen Sie sich das einmal vor: Ein schutzloses Robbenbaby, getrennt von seiner Mutter. Zitternd vor Angst liegt es auf einer Eisscholle, seine großen Augen erblicken den brutalen Jäger … Und dann: Zack! Überall Robbenblut! Das ist doch ekelhaft. Und was mache ich? Achtung … (er pickt nach ein paar Krümeln) Das sieht ja wohl allemal hübscher aus, oder?
Gustav, es ist ja verständlich, dass Sie sich übergangen fühlen. Aber seien Sie doch etwas geduldiger …
Pah.
Gerade kommt ein kleines Mädchen auf uns zu. Wollen wir nicht mal abwarten, was passiert?
Die interessiert sich nicht die Bohne für mich, wetten?
Pssst! Abwarten. Und machen Sie doch mal so einen kleinen Hüpfer!
Kleines Mädchen: O, ein Küken!
Herr Küken: (hüpft und legt den Kopf schief)
Kleines Mädchen: Ziehen Sie das mit der Flasche groß? So wie das auch mit Knut gemacht wird?
Herr Küken: Natürlich nicht, du strunzdumme Schlampe!
taz: Äh, nein …
Herr Küken: Du segelohrige Nutte!
Gustav, hören Sie sofort auf damit!
Kleines Mädchen: (läuft weinend davon)
Herr Küken: Fettärschiges Miststück! Pissflitsche! Du machst doch für jeden dahergelaufenen Eisbären die Beine … Aua! Was soll das?
Herr Küken, wir beenden jetzt das Gespräch.
Herr Küken: Ja, geht doch zu Knut, zu eurem Scheißbären! Ihr könnt mich alle mal am Arsch lecken! Kreuzweise! Hoffentlich kriegt ihr alle Scheißbärenkrätze, nee, Scheißbärenflöhe! Denn der hat bestimmt Flöhe! Ätzende Riesenflö … (Ende der Aufzeichnungen)
INTERVIEW: CAROLA RÖNNEBURG