Mit Teddy im Schlepptau

Weit mehr als die professionelle Abwicklung eines Modeshootings für die britische „Vogue“: David Bailey fotografiert seine Freundin Jean Shrimpton 1962 in New York

1962 fliegen der Fotograf David Bailey, seine Freundin, das Model Jean Shrimpton, und die Moderedakteurin Clare Rendlesham nach New York, um dort für die britischen Vogue eine 14-seitige Modestrecke mit dem Titel „New York: Young Idea Goes West“ aufzunehmen. Das Vorhaben ist ungewöhnlich, dringen sie doch in das Reservat der amerikanischen Vogue ein. Damit könnte Bailey als eine Art Vorhut der „britischen Invasion“ Amerikas, also der Popbands, allen voran der Beatles, gelten, die zwei Jahre später Amerika im Sturm nehmen.

Bailey, der wieder mit der 35-mm-Kleinbildkamera arbeitete, legte seine Filme selbst ein, denn er hatte weder einen Kameraassistenten noch einen Visagisten oder Hairstylisten an seiner Seite. Auch Shrimpton, die vielen als das erste „Supermodel“ gilt, schminkte und frisierte sich selbst. Währenddessen jammerte die Moderedakteurin über die abseitigen Locations, deren Attraktion sich ihr nicht erschloss. Um im winterlichen New York den Schauplatz zu wechseln, schnappten sich die drei ein Taxi.

Die schwierigen Umstände finden sich im rohen Charme der Aufnahmen wieder. Sie dokumentieren ein Shooting, das weit mehr war als die professionelle Abwicklung eines Auftrags. In den Bildern steckt die Dringlichkeit ihrer umstürzlerischen Absichten. Wie eine ganze Generation von Musikern, Künstlern, Filme- und nicht zuletzt Modemachern setzte sich auch David Bailey mit Talent, Spürsinn und Entschlossenheit gegen überkommene Spielregeln zur Wehr, um sie schließlich selbst zu definieren. Nur vier Jahre später lieferte er Michelangelo Antonioni die Vorlage für die Figur des Modefotografen Thomas in „Blow Up“. Er ist selbst ein Star.

Die New-York-Serie, von der im April 1962 neun Aufnahmen in der britischen Vogue erschienen und die Mode-, Musik- und Kunstszene Londons maßgeblich beeinflussten, hat nun der Steidl Verlag unter dem Titel „NY JS DB 62“ (mit einem Essay von Martin Harrison, Göttingen 2007, 72 Seiten, Leinenband im Schuber, 40 €) veröffentlicht. Die umwälzende Neuheit der 24 Schwarzweiß- und 3 Farbaufnahmen ist auch jetzt sofort zu spüren. Zunächst verabschiedet Jean Shrimpton das Bild der damenhaften jungen Frau. Es geht nicht mehr darum, frühzeitig erwachsen zu sein. Viel reizvoller ist das kokette Spiel mit der gerade verwundenen Kindheit, symbolisiert im Teddybären, der Shrimpton die ganze Serie über begleitet.

Doch Shrimpton hat nicht nur diesen Teddy im Schlepptau, sondern meist noch einen Mann. Wie die Leuchtreklame, die emblematische New Yorker Architektur, die Ladenschilder, Spielautomaten und Yellow Cabs spiegelt auch seine Figur das pulsierende Leben in den Straßen von Manhattan und die Größe und Freiheit des Big Apple wider. Denn er ist nur ein zufälliger Passant. Trotzdem erscheint er als ausgesuchter Charakter – schwer einzuordnen als älterer Mann mit Baseballjacke, dann wieder leicht als kleiner Geschäftsmann zu erkennen, trotz des soliden Wintermantels, und schließlich als echter Anzugträger, umkreist er Jean Shrimpton als kopflose Schaufensterpuppe. Das neue Auftreten der modernen jungen Frau, verdeutlicht David Baileys New-York-Serie, hat auch einen anderen Umgang zur Folge. Sie kennt nicht mehr nur eine Sorte Mann, den Versorger. Und tatsächlich ist in der letzten Aufnahme der Serie der Beatnik im Bild. BRIGITTE WERNEBURG