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Archiv-Artikel

Gegen gastronomisches Gedränge

AUFWERTUNG Friedrichshain-Kreuzberg verweigert einem neuen Lokal im Graefekiez die Genehmigung, um den Stadtteil vor der „Ballermannisierung“ zu bewahren

VON ANTJE LANG-LENDORFF UND PATRICIA HECHT

In Friedrichshain-Kreuzberg hat die Debatte um die „Ballermannisierung“ beliebter Kieze nun erstmals Konsequenzen: Das grün geführte Bezirksamt stoppt die Neueröffnung einer Weinstube in der Kreuzberger Grimmstraße.

Zulasten der Anwohner

„Der Graefekiez, zu dem die Straße gehört, verzeichnet bereits eine starke Häufung gastronomischer Betriebe“, begründeten die Grünen am Dienstag in einer Pressemitteilung ihre Ablehnung. Wenn die Restaurants und Bars andere Geschäfte in der Umgebung verdrängten, gehe das zulasten der Anwohner, erklärte Julian Schwarze (Grüne), Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses im Bezirk. „Das verändert das Gesicht des Kiezes.“

Das Bezirksamt stützt sich bei der Ablehnung der Weinstube auf Paragraf 15 der Baunutzungsverordnung. Der besagt, dass eine Umnutzung von Wohn- und Gewerbeflächen versagt werden kann, wenn sie den Charakter eines Wohngebiets gefährdet. Das Bezirksparlament hatte auf Antrag der Grünen bereits Ende 2012 beschlossen, dass das Bezirksamt diese Möglichkeit konsequent nutzen und Neueröffnungen entsprechend kritisch unter die Lupe nehmen soll.

Tempelhof-Schöneberg hat vorgemacht, dass das funktionieren kann: Der Bezirk lehnte schon mehrere Neueröffnungen von Restaurants in der Maaßenstraße am Winterfeldtplatz ab – ebenfalls mit dem Verweis auf die Baunutzungsverordnung. Die zieht jedoch nicht immer. „Wir haben laufend Anträge zur Umnutzung von Gewerbe in Gastronomie“, berichtete Schwarze aus Friedrichshain-Kreuzberg. Sowohl in der Falckensteinstraße als auch in der Graefestraße hätten sie zwei neue Kneipen verhindern wollen. „Da dort aber Wohngebiete und Mischgebiete aneinandergrenzen, fehlte uns die Handhabe“, so Schwarze.

Die Grimmstraße dagegen sei Wohngebiet. Das Bezirksamt kartografierte den Kiez, wies eine Häufung gastronomischer Betriebe nach – und verweigerte der Weinstube die Genehmigung. „In beliebten, gut besuchten Gebieten steigen die Mieten, es kommt zu einem Verdrängungswettbewerb auch auf Gewerbeflächen“, begründete Baustadtrat Hans Panhoff (Grüne) diesen Schritt. Schwarze sagte, der Betreiber der Weinstube habe keinen Widerspruch gegen die Absage eingelegt.

Die Häufung von Gastronomie in beliebten Vierteln wird auch auf die seit Jahren steigenden Touristenzahlen zurückgeführt. Mit 2,8 Millionen Übernachtungen hat Berlin im Juli einen neuen Höchstwert erreicht. Die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann (Grüne), forderte zuletzt – neben einem Verhaltenskodex für Besucher – einen „sanften Tourismus“.

Die Prüfung von Genehmigungen für Hostels und Gastronomie ist ein Hebel der Verwaltung, um lenkend einzugreifen. Einzelnen gastronomischen Betrieben die Erlaubnis zu verwehren reiche jedoch auf Dauer nicht aus, sagte der Stadtforscher Johannes Novy von der TU Berlin. „Wichtig ist, dass die Debatte auf einer größeren Ebene als der bezirklichen geführt wird – und dass auch über weiterreichende Instrumente in Bezug auf eine ausgewogene lokale Gewerbestruktur gesprochen wird“.

Mehr Lebensqualität

So würden etwa in nordamerikanischen Städten Modelle diskutiert, in denen auch mit Anreizen gearbeitet werde. Dort sei durchaus nicht ungewöhnlich, dass neue Gewerbetreibende aufzeigen müssen, inwiefern sie einen Beitrag dazu leisten können, den Charakter eines Kiezes und die Lebensqualität der Bewohner positiv zu beeinflussen.

Der Laden in der Grimmstraße stand Schwarze zufolge zuletzt leer. Wer nun dorthin zieht, ist offen. Schwarze sagte: „Ein Gemüseladen, ein Friseur, ein Modehändler – außer gastronomischen Betrieben sind uns alle willkommen.“