piwik no script img

Frau Zentaur kocht Espresso

König der Pferderflüsterer, guck bloß nicht hin: Zu viel Dressur und zu viel Schwulst in der Show „Cargo“ – Theater hoch zu Pferde – im Admiralspalast

Nichts für glanzäugige Pferdemädchen mit Black-Beauty-Postern an der Wand

VON JENNI ZYLKA

Hinter dem Admiralspalast riecht man sie schon: Barbiepferd Dancer als Rappe mit wehender Dauerwelle, einen schwarzen Hengst mit schickem Flechtzopf und einen zotteligen Augsburger Puppenkiste-Esel. Obwohl, bei genauem Hinsehen: Der Esel ist nicht einfach nur wuschelig. Er hat lange, schmuddelige, knotige Dreadlocks. Dreadlocks! Die bei nicht dunkelhäutigen Menschenwesen schlimmste Erfindung, seit es Leggins gibt. Der Puppenkisten-Esel hat sich seinem Reiter David angepasst – sie gehen, oder besser: traben im Rasta-Partnerlook, der eine auf zwei, der andere auf vier Beinen.

Jahaa, es mag zwar „Théâtre du centaure“ heißen, aber es ist ja nun nicht so, dass man nicht sieht, wo der Gaul aufhört und der Mensch anfängt. Selbstverständlich spielen die drei ReiterInnen und ihre drei Pferdchen die Fabelwesen bei diesem „stillen, düsteren, erotischen und exzentrischen Gedicht für die Augen“ (O-Ton Pressetext) nur: Sie inszenieren sich als Zentauren, halb Menschen, halb Pferdewesen. In der griechischen Mythologie sind die Mischwesen als „lüsternes, unbeherrschtes“ Volk bekannt, das übrigens von einem Bastard aus Mensch und Wolke abstammt, der wiederum weiland eine oder, je nach Überlieferung, auch mehrere Stuten schwängerte.

„Cargo“, das französische Zentaurentheater, das noch bis Freitag durch den Admiralspalast fegt, ist also nichts für glanzäugige Pferdemädchen mit Black-Beauty-Postern an der Wand und teurem Hobby. Sondern die Show bietet eine schwülstige Mischung aus Tierdressur, Reitkunst, Kinoprojektionen und wildem, mit französischem Geflüster unterlegtem Musikmix, geeignet für Menschen, die zwar gerne große, pralle Pferdehintern sehen und das Schockemöhl’sche Springreiten und Barren dennoch zu deutsch und zu spießig finden.

In sogenannten „Szenen aus dem Leben“ galoppiert Herr Zentaur (Manolo) in eine Bar, in der Frau Zentaur (Camille) mit abwesendem Blick sich (oder ihrem Hengst Black Dancer?) Espresso kocht und voltigierend Zeitung liest. Später wird Manolo mit einer Schweißermaske auf den wohlondulierten Locken auf seiner schwarzen bezopften Mähre über die und hinter der Bühne her traben, sich mit großflächigen Wand-Projektionen von Kränen auf einer Werft vermischen – daher der Titel „Cargo“ (Fracht) – und Camille – Monty Roberts, König der Pferdeflüsterer, guck bloß weg – steht ohne zu schwanken mit einem weißen Koffer in der Hand auf ihrem Rappen. Sie schaut dabei sehr mysteriös ins Nichts, vielleicht schon auf dem Weg in einen ganz neuen Stall.

David und sein Esel jagen sich derweil zu Kleppertechno über die Bühne und verheddern dabei kunstvoll ihre Haarpracht. Jahaa, die hippoaffinen FranzösInnen aus Marseille geben dem Wort „absurd“ eine neue Dimension. Das soll ihnen erst mal einer nachmachen.

Oder lieber nicht. Googelt man Zentaur, bekommt man jedenfalls die für ein Leben in Berlin substanzielle Information, dass das, was man immer als etwas undefinierbar Rotes im „O“ des „Rossmann“-Logos wahrgenommen hat, wenn man mal wieder zum Zahnpastakaufen ging, in Wirklichkeit die symbolhafte Darstellung eines Zentauren ist. Als Versinnbildlichung des Rossmannes, des Pferdemannes. Womit eine sofortige Rehabilitierung des deutschen Vermögens zur Symbolträchtigkeit im Alltag gewährleistet wäre.

„Cargo“ läuft im Admiralspalast in Mitte, bis 13. 4., 20 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen