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Archiv-Artikel

Gebündelte Notmaßnahmen

FLÜCHTLINGE Eine Kommission des Senats entscheidet heute über die Unterbringung von Asylsuchenden: Bis zum Wintereinbruch müssen 1.500 Plätze geschaffen werden

Für die Zukunft schielt der Senat auf die Unterbringung von Flüchtlingen in un- genutzten Bürobauten

VON HANNES STEPPUTAT UND MARCO CARINI

Heute Mittag wird die zuständige Senatskommission für Wohnungsbau und Stadtentwicklung über die zukünftigen Standorte für Flüchtlingsunterkünfte entscheiden. Am Mittwochabend hatte Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) die von ihm in enger Abstimmung mit der Innenbehörde aufgelegte Standortliste im Rathaus den Vorsitzenden der zuständigen Ausschuss-Sprecher und den bezirklichen Fraktionschefs aller Parteien in vertraulicher Sitzung mitgeteilt. Nach der heutigen Sitzung der Senatskommission wird er die Liste der Öffentlichkeit präsentieren.

Die Auflistung, die der taz vorliegt, enthält sieben Standorte für die Zentrale Erstaufnahme (ZEA) und weitere 18 für die Folgeunterbringung. Fast alle hier aufgeführten Plätze sollen noch bis zum Wintereinbruch eingerichtet werden, um 1.500 Flüchtlingen, die bislang keine Unterkunft haben, kurzfristig eine Bleibe zu schaffen. „Dann soll niemand mehr in Zelten schlafen müssen“, gibt Sozialbehördensprecher Marcel Schweitzer das Ziel vor, das sein Amt mit Hilfe zahlreicher „Notmaßnahmen“ erreichen will. Damit das klappt, mahnte Scheele die Bezirke an, notwendige Bauanträge im Galopp zu beschließen.

Auf der Liste finden sich vor allem Stellplätze für Container, etwa am Lewenwerder in Harburg und am Curslacker Neuen Deich oder der Brookkehre in Bergedorf. Neu aufgenommen sind auch zwei „Pontons mit Containerunterbringung“ im Bezirk Mitte am Aue-Kai und in Rothenburgsort. Auch die umstrittene Anlandung eines Wohnschiffs im Harburger Binnenhafen für insgesamt 400 Flüchtlinge soll laut der Scheele-Liste bis zum Jahresende vonstatten gegangen sein.

Um vor allem die mit über 2.400 Menschen überfüllten Erstaufnahmestellen (ZEA) zu entlasten, wendet die für die Erstaufnahme zuständige Innenbehörde inzwischen das Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG) an, das Beteiligungsrechte für die Bezirke und Anwohner abschneidet, wenn Gefahr im Verzug ist. In Wilhelmsburg wurde kurzerhand eine Notunterkunft für 300 Personen in einer ausgedienten Schule im Karl-Arnold-Ring hergerichtet, seit Mittwoch ziehen hier Flüchtlinge ein.

Auf diesem Weg sollen allein in den nächsten acht Wochen weitere 940 Erstaufnahme-Plätze für Flüchtlinge in Wilhelmsburg, einer nicht genutzten Sporthalle des Gymnasiums Marienthal (Wandsbek) und in Hamburg-Nord am Wiesendamm und am Tessenowweg geschaffen werden. „Wir können nicht warten, bis die Sozialbehörde handelt“, kombiniert Innenbehörden-Sprecher Frank Reschreiter die Begründung für eine SOG-Anwendung mit einem Seitenhieb.

Die Sozialbehörde ist für die Folgeunterbringung der Flüchtlinge verantwortlich, die eigentlich nur drei Monate in der ZEA bleiben dürfen. Doch derzeit seien etwa 900 Menschen bereits länger in den Aufnahmestellen. Claudius Brenneisen, Mitarbeiter der kirchlichen Flüchtlingshilfe Fluchtpunkt, betrachtet die Notmaßnahmen mit gemischten Gefühlen. Es sei zu begrüßen, dass die Menschen in Schulen und nicht in Zelten untergebracht werden. Aber das SOG sei „Polizeirecht und völlig inadäquat. Die Assoziation ist dann wieder: Flüchtlinge – Gefahr – Polizeirecht und das ist schwierig.“ Man habe „es jahrelang versäumt, sich um Plätze zu kümmern“ und reagiere jetzt auf eine selbstgemachte Problemlage.

Damit in Zukunft solche Engpässe nicht mehr entstehen, schielt der Senat auch auf die Belegung freier Saga-Wohnungen mit Flüchtlingen und auf deren Unterbringung auch in leerstehenden Büroetagen. Deren Nutzung wäre mithilfe des SOG zwar möglich, scheitert aber aktuell an bundeseinheitlichen Brandschutzregeln, die bei einer Wohnnutzung strenger sind als im Arbeitsbereich.

Um Abhilfe zu schaffen, bearbeitete Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD), die entsprechenden Regularien zu entschärfen – und erhielt nun die Zusage der Ministerin, Hamburgs Wünschen nachzukommen. Auf der nächsten Scheele-Liste dürften sich dann auch Büros wiederfinden.