: Dunking Denkmal
KORB In „Der perfekte Wurf“ darf Dirk Nowitzki den Weltstar geben, der ganz normal geblieben ist. Die dunklen Seiten des Basketballers spart der betuliche Film aus
VON THOMAS WINKLER
Manfort ist ein Stadtteil von Leverkusen. Im Jahre 1050 erstmals erwähnt. Dynamit wurde hier hergestellt, Stahl gegossen. Es gibt eine evangelische Kindertagesstätte, einen katholischen Kindergarten und eine Gemeinschaftsgrundschule. Die Wolfgang-Obladen-Turnhalle gibt es auch. Sie ist benannt nach einem ehemaligen Leverkusener Oberbürgermeister.
Anfang der Woche kam Dirk Nowitzki nach Manfort. In der Wolfgang-Obladen-Turnhalle warb er für ein Sozialprojekt. Irgendwas mit Kindern und Basketball. Der Boden der Wolfgang-Obladen-Turnhalle leuchtete blau, Zuschauer wurden mit einem rot-weißen Flatterband im Zaum gehalten. Die Lokalpresse begrüßte den „Weltstar“ und diagnostizierte: „Riesenandrang in Manfort“.
Doch wenn man ehrlich ist: Die Lokalpresse übertrieb da ein wenig. In Manfort ist Dirk Nowitzki eigentlich kein Weltstar. In Manfort saß Dirk Nowitzki an einem Schultisch vor dem geöffneten Geräteraum der Turnhalle, schrieb Autogramme, und ein paar Dutzend Kinder standen brav an. Niemand kreischte. Niemand fiel in Ohnmacht. Kein roter Teppich wurde ausgerollt. Nowitzki trug ein weißes Sweatshirt und schwarze Trainingshosen ohne breite Sponsoren-Logos.
Nowitzki, 36 Jahre, geboren in Würzburg, wohnhaft in Dallas, bester deutscher Basketballspieler der Geschichte, ist gerade in Deutschland. In der NBA ist Sommerpause. Viele seiner Kollegen waren gerade in Spanien, wo der Weltmeister ermittelt wurde. Nowitzki nicht. Die deutsche Nationalmannschaft hatte sich nicht qualifizieren können. Nowitzki hatte bei der Qualifikation gefehlt. Zeit, um in Deutschland zusammen mit seinem Entdecker, Mentor und Privattrainer Holger Geschwindner an seinem Spiel zu feilen. Zeit, um ein paar Termine zu absolvieren für den Film „Nowitzki – Der perfekte Wurf“, der heute in den deutschen Kinos anläuft. Zeit, um in Manfort für ein Sozialprojekt zu werben. Am Dienstag kam die Meldung, dass Nowitzki wieder für die Nationalmannschaft spielt bei der Europameisterschaft, die im kommenden Sommer stattfinden wird. Dann wird er wohl keine Zeit mehr haben für Manfort.
Die EM 2015, die zum Teil in Deutschland ausgetragen wird, ist eine weitere Gelegenheit für Nowitzki, auch in seiner Heimat ein Weltstar zu werden. Anderswo ist er das schon. In Serbien, in Spanien, der Türkei, Griechenland oder auch in Argentinien, wo sein Sport einen höheren Stellenwert genießt als bei uns. In Litauen oder Lettland, kleine Länder, die stolz sind auf ihre Basketballtradition. Sogar in Angola oder Nigeria, wo NBA-Trikots ein Statussymbol sind. Und auf den Philippinen, wo Basketball die Sportart Nummer eins ist, weiß jedes Kind, wer Dirk Nowitzki ist.
In den USA, dem Heimatland des Basketballs, ist Nowitzki natürlich auch ein Weltstar. In Dallas, wo Nowitzki seit 16 Jahren für die Mavericks spielt, planen sie ein Denkmal zu errichten für den Mann, der 2011 die einzige NBA-Meisterschaft in die Stadt geholt hat. Ein echtes, nicht nur sprichwörtliches Denkmal vor der 21.000 Menschen fassenden und seit 13 Jahren immerzu ausverkauften Arena. Wenn man Nowitzki fragt, wie er das findet mit dem Denkmal, dann sagt er, er weiß nicht, wie er das finden soll. Und dass er ein wenig Angst hat, dass es solch ein geschmackloses Bronzemonstrum sein könnte wie viele der Statuen, die sie in den USA für ihre Sporthelden errichten.
Ob Nowitzki jemals ein Denkmal in Deutschland bekommt? Uwe Seeler hat eins, Helmut Rahn und die fünf Kaiserslauterer Helden von Bern auch. Franz Beckenbauer ist sein eigenes, wandelndes Denkmal. Aber das sind alles Fußballer.
Was Nowitzki allen deutschen Fußballspielern voraus hat: Im Rest der Welt kennt man ihn eher als in Deutschland. Ein, sagen wir mal, Erik Durm würde in der Dortmunder Innenstadt wohl einen massenhaften Teenie-Auflauf auslösen. Dirk Nowitzki würde das vermutlich eher in Manila gelingen.
Nicht dass er darauf Wert legen würde. In Dallas wohnt Nowitzki mit seiner Frau, einer Kunsthändlerin, und seiner im vergangenen Sommer geborenen Tochter zwar in einer Straße, die im Volksmund „Billionaire’s Row“ genannt wird. Aber während die Nachbarn mit dicken Säulen, Gartenskulpturen und einem unübersehbaren Hang zum Neoklassizismus gern zeigen, warum sie in der „Straße der Milliardäre“ wohnen, ist Nowitzkis Haus von der Straße nicht einzusehen.
Ein ähnliches Problem hat der Film. Er will dem Menschen Nowitzki nahe kommen, aber der lässt das nur bedingt zu. Er will alles erzählen, was es über Nowitzki zu erzählen gibt, aber hat dann doch zu viel Respekt und streift nur sehr oberflächlich die etwas dunkleren Kapitel in dessen Vita: als Nowitzki auf eine Heiratsschwindlerin hereinfiel oder als sein Vertrauter Geschwindner in eine Steueraffäre verwickelt wurde.
Mithilfe von Exkursionen nach Dallas und Würzburg, in Interviews mit alten Freunden, Mannschaftskollegen, Weggefährten, Eltern und Geschwistern gelingt es Filmemacher Sebastian Dehnhardt zwar, die Entwicklung Nowitzkis vom ungeschliffenen Talent zu einem Spieler, der seine Position von Grund auf veränderte, in allen Details nachzustellen, den Weg nachzuzeichnen aus der miefigen Turnhalle im oberfränkischen Rattelsdorf in die größte Basketball-Liga der Welt, in der – so legt es der Film zumindest nahe – jeder Ball in Superzeitlupe in den Korb rauscht. Schlussendlich rückt der Film seinem Gegenstand aber nicht ausreichend rücksichtslos auf den Leib, um Unbekanntes oder Überraschendes zutage zu fördern.
Andererseits aber ist der Film zu nah dran, um noch den Blick frei zu haben auf das Phänomen Nowitzki. „Der perfekte Wurf“ erzählt das Leben von Dirk Nowitzki. Aber keine Geschichte, die darüber hinausweist. Der Film erzählt nicht, wie ein Jüngelchen aus der fränkischen Provinz zu einem texanischen Helden werden konnte. Auch nicht, wie sich die NBA mit Hilfe von Spielern wie Nowitzki zur internationalen Marke entwickelt oder ob und wie ein Nowitzki die Eckpunkte in der deutschen Sportlandschaft verändert hat. Und erst recht nicht, wie ein Mensch eine solch märchenhafte Karriere hinlegen kann – und davon unberührt und in sich ruhend ganz der Alte zu bleiben scheint.
Vielleicht wollte Dehnhardt ja ein Denkmal bauen. Das Denkmal, das Nowitzki sicher verdient hätte. Dazu allerdings hätte sich der Film wohl vollends einlassen müssen auf die glamouröse, amerikanisierte Form der Heldenerzählung, die die Marketingstrategie der NBA vorgibt. Das aber wiederum hätte wohl ebensowenig zu Dirk Nowitzki gepasst wie das Bronzemonstrum, das womöglich bald in Dallas errichtet wird.
■ „Der perfekt Wurf“, ab Donnerstag im Kino
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