: Abziehbilder von Amerika
Agitprop statt Analyse: Johann Kresniks „Amerika“-Inszenierung füllt den Güterbahnhof mit Effekten aller Art. Antinationale protestieren: Der Anti-Amerikanismus sei antisemitisch unterfüttert
VON HENNING BLEYL
Statt nasser MusikerInnen waren es die AktivistInnen der „Antinationalen Gruppe Bremen“, die das Premierenpublikum von Johann Kresniks „Amerika“-Uraufführung im Güterbahnhof erwarteten. Ihr Vorwurf an den Regisseur: Kresniks im linken Bildungsbürgertum goutierter Anti-Amerikanismus sei antisemitisch unterfüttert, seine Inszenierung folge der Intention „Amerika tadeln, Deutschland adeln“.
Vorzeitiger Bühnenbild-Erguss, vorbereitende Ideologiekritik – mit allerlei Mitbringseln im Kopf betraten die ZuschauerInnen also die ebenso gewaltige wie ungenutzte Halle des Güterbahnhofs. Hier soll Karl Roßmann – wegen einer unehelichen Affäre – von Prag nach Amerika auswandern, sein Glück suchen, falsche Freunde finden, Ungerechtigkeit erfahren und schließlich zur Haft in einem Guantánamo-ähnlichem Lager verurteilt werden.
So will es das Libretto von Christoph Klimke, der unter anderem auch die „Zehn Gebote“ für Kresnik dramatisierte. Was will Kresnik? Stationen zeigen – die fortwährenden Niederlagen des Karl Roßmann im Bemühen, seinen heimatlichen Werten treu zu bleiben – inklusive seiner Freundin Felice. Also jagt Kresnik die alles andere als statisch agierende Statisterie, kostümiert mit Müllsäcken, durch Gefängniswaggons und Kühlschrankstädte. Sie alle bilden die Kulisse für das Scheitern des Protagonisten. Andreas Seifert personifiziert einen fortwährend um seine Existenz kämpfenden Karl, der sich sowohl an seinem Vater als auch an der ihm immer wieder zugewiesenen Schuld am eigenen „Versagen“ abarbeitet. Mit seiner Felice ist er in kurzen pas-de-deux-Sequenzen vereint. Diese poetisierende zweite Ebene bleibt allerdings deutlich zu schwach, um ein erzählerisches Gegengewicht zu all dem sonstigen Tumult bilden zu können.
Ebenso unterbewertet bleibt die dramaturgische Funktion der Gleisbett-Trümmer, die der Ausbruch der 700.000 Liter Wasser hinterließ. Spielen sie eine Rolle? Sind sie nur Relikte eines ambitionierten Bühnenbild-Versuchs? Immerhin ahnt man, welch grandioses Bild die 23 Engel mit ihren brennenden Flügeln hätten abgeben können, wenn sie tatsächlich eine 170 Meter messende Strecke im gefluteten Gleisbett hätten entlang prozessieren können. Schon dem Bunker Valentin hatte Kresnik mit Hilfe von Fackeln starke optische Effekt entrissen. Und tatsächlich vermittelte selbst der verkürzte Gang über blinkende Pfützenreste eine eindrucksvolle Momentaufnahme.
Natürlich gibt es auch andere gute Momente: Ein Dialog Karls mit einem Multiscreen-George W. Bush oder die Persiflage der evangelikalen „Hour of Power“. Insgesamt aber ist hier kein Kresnik auf der Höhe seines Schaffens zu sehen, was auch für’s Handwerkliche gilt. Es ist ein starkes Bild, wenn Karl, im Spot eines einzelnen Schweinwerfers, aus der Tiefe der Halle nach vorne rennt, dabei atemlos vom Schein der Freiheitsstatue schwärmend. Insgesamt aber bleibt die Lichtregie seltsam diffus.
Für den Rückweg des Publikums nutzt Kresnik eine Reihe gläserner Kontrollhäuschen, um eine Art Passionsweg zu installieren: die nackte Statisterie sitzt hinter den Scheiben und beschmiert sich und sie mit Blut. Die beiden elementarsten und zugleich beliebtesten Reize der Kresnik’schen Effekte-Skala kommen in diesem Abspann noch einmal in aller Sättigung zur Geltung, zugleich manifestiert sich ein weiteres Mal das dramaturgische Grundprinzip der Produktion: die Reihung. Spannung wird anders erzeugt.
„Amerika“: noch bis 13. Juli im Güterbahnhof. Karten und Termine: ☎ 0421) / 36 53-333. Politische Kresnik-Kritik: www.nadir.org/nadir/initiativ/ang/