: Ballern auf Rezept
Killerspiele als Psychopharmaka: Überdosierung erzeugt schweren Amok
Wer mich kennt, weiß, dass ich von Natur aus der schüchterne, unauffällige Typ bin. Auf Partys hängen die Leute Jacken an mir auf, und ich wehre mich nicht dagegen. Fest entschlossen, dies endlich zu ändern, konsultierte ich daher Dr. Köttenwald. Dr. Köttenwald ist Psychologe und schwört „auf die aggressionsfördernde Wirkung einschlägiger Videogames“. Als er seinen Kittel an mir aufhängte, lächelte er aufmunternd. „Ich schreibe Ihnen ein Rezept für ein paar Killerspiele. Zahlt Ihre Krankenkasse. Das ändert alles. Sie werden sehen!“
Auf dem Weg in die Apotheke war ich verunsichert. Mein bisheriger Kontakt mit Computerspielen beschränkte sich auf „Die Sims“, „Siedler“ und Spiele, bei denen lustige bunte Klötzchen vom Himmel fallen. Die nette Apothekerin warf einen kurzen Blick auf mein Rezept und rief dann einen Kollegen, „der sich auskennt“. Ich sah sofort, dass der Kollege ein Nazi war. „Sie sind ja ein Nazi“, rief ich pikiert. „Buhu“, begann er zu schluchzen. „Alle halten mich für einen Nazi. Daran ist nur mein schwuler Friseur schuld.“ Wie sich herausstellte, hatte besagter Friseur ihn zu einer „luftigen Sommerfrisur“ überredet. „Woher soll ich wissen, dass er mir gleich eine Glatze rasiert?“, jammerte der Apotheker, der wie ein Nazi aussah. Mir war das alles sehr unangenehm.
„Reiß dich zusammen, Torben!“, zischte sie wütend. „Der Kunde braucht ein Killerspiel, also bedien ihn gefälligst!“ Sie hängte ein Werbeschild für Aspirin an mir auf und verschwand nach hinten. Torben präsentierte mir schniefend ein paar Spieleverpackungen, auf denen unglücklich aussehende Soldaten abgebildet waren, die mit Gewehr und Uzi beladen durch düstere Schlachtfelder stürmten. „Also, wir haben ‚Call of Duty‘, ‚Far Cry‘, ‚Half Life‘, ‚Doom 3‘ und ‚Quake 4‘. Welches wollen Sie?“ Ich war mir nicht sicher. „Wo sind die Unterschiede?“ Er blickte mich prüfend an. „Sind Sie überhaupt schon 18?“ Ich zeigte meinen Ausweis vor. „Ich bin 39!“ Er nickte ernst. „Okay. Ich frage nur, weil diese Art Psychopharmaka ausschließlich für Erwachsene sind. Bei einer Überdosierung wird man zum Amokläufer.“
Ich schluckte. Wow, das waren Nebenwirkungen! „Eigentlich möchte ich nur etwas tougher werden“, erklärte ich zaghaft. „Dann nehmen Sie das hier.“ Er schob eines der Killerspiele zu mir rüber. „Da erschießen Sie keine Menschen, sondern eklige schleimige Mutanten.“ Ich war erleichtert: „Also bluten die gar nicht?“ Er lächelte nachsichtig. „Doch. Wie Sau! Aber nicht rot, sondern grün.“ Er zeigte mir, wo ich drücken musste: „Hier! Immer draufhalten. Womm, womm … Alle tot! Total geil!“ Ich schoss ebenfalls: Womm, womm … Grünes Blut spritzte, Mutantenkadaver säumten meinen Weg. Innerhalb von fünf Minuten war ich wie in Trance.
Erst die Rückkehr der Apothekerin riss mich aus meiner Mordlust. „Na?“, erkundigte sie sich freundlich und drückte auf „Game beenden“. „Wirkt es?“ Ich nickte heftig. Schon nach der ersten Dosis Killerspiel war mein Selbstwertgefühl um gut das Dreifache gestiegen. Ich verpasste der Apothekerin mit voller Wucht eine Backpfeife. „Dann bekomme ich jetzt noch die Rezeptgebühr von Ihnen“, lächelte sie zufrieden und packte das Spiel in ein Apothekentütchen. „Ein paar kostenlose Papiertaschentücher dazu?“ – „Und eine geladene Uzi!“, befahl ich. „Macht dann zusammen genau 8.500 Euro und 90 Cent“, nickte die Apothekerin. „Torben, kassierst du den Herrn bitte ab?“ Ich erschoss Torben selbstverständlich. Warum Geld bezahlen, wenn man auch Amok laufen kann? Außerdem war er eh ein Nazi. Auf dem Heimweg ging ich zu einem schwulen Friseur und zwang ihn, mir eine Sommerfrisur zu rasieren. Jetzt bin ich ein neuer Mensch! FRANK M. ZIEGLER