Das Gewaltvideo immer in der Tasche

Bei vielen Jugendlichen gilt es als „cool“, Prügeleien mit dem Handy aufzunehmen, die Filme mit Freunden auszutauschen und im Internet zu präsentieren. Lehrer und Wissenschaftler streiten darüber, ob Mobiltelefone in Schulen verboten werden sollten

Eltern interessieren sich kaum dafür, was ihre Kinder auf dem Handy speichern

VON MARTIN MÜLLER

Wenn Fünftklässler an einem Gymnasium in Berlin-Wilmersdorf mit dem Handy aufzeichnen, wie sie mit Kreide schmeißen und die Mädchen an den Haaren ziehen, ist das noch vergleichsweise harmlos – löste aber schon einigen Aufruhr an der Schule aus. Wenn ein Jugendlicher in der U-Bahn vor laufenden Minikameras krankenhausreif geschlagen wird, ist das ganz klar ein Fall für die Polizei.

Allein in Berlin werden jährlich über 50 Fälle von „Handy-Gewalt“ angezeigt. Damit ist vor allem das so genannte „Happy Slapping“ gemeint. Mit dem Mobiltelefon werden Prügeleien aufgenommen – teilweise Inszenierungen, teilweise aber auch schmerzhafte Realität. Auch „E-Bullying“, elektronisches Mobbing, bei dem andere etwa beim Duschen oder Umziehen gezeigt werden, ist weit verbreitet. Mehr als 40 Prozent der Jugendlichen haben ein solches Video schon mal gesehen, wie die Stuttgarter Medienwissenschaftlerin Petra Grimm auf einer Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin bestätigte. Das Internetportal YouTube ist eine beliebte Tauschbörse von Gewaltvideos. Teilweise werden die Filme dafür extra inszeniert, also geschnitten und mit Musik, Text und Kommentar unterlegt. „Das Internet ist die Hauptquelle für die Weiterverbreitung der Videos“, so Grimm. Dank Flatrate der Eltern eine sehr billige. Auch über die Bluetooth-Schnittstelle der Handys werden oft Videos ausgetauscht.

Inzwischen besitzen 92 Prozent der Jugendlichen mindestens ein Handy, wie eine Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest belegt. Die Gefahr der Überschuldung kann durch Prepaid-Karten und verstärkte Kontrolle der Eltern noch eingedämmt werden. Im Falle der Gewaltvideos ist das jedoch anders: „Die Eltern interessieren sich kaum dafür, was ihre Kinder auf dem Handy gespeichert haben“, meint Hartmut Warkus, Professor für Medienpädagogik.

Fast alle Jugendlichen kennen Videos mit gewalttätigem oder pornografischem Inhalt, doch nur 7 Prozent geben zu, schon mal selbst welche bekommen zu haben – vor allem ältere Jungs an Hauptschulen. Aber immerhin 17 Prozent waren schon selbst Zeuge einer Schlägerei, die mit dem Handy aufgezeichnet wurde. Und 28 Prozent verschicken zumindest gelegentlich Fotos oder Videos. Die Filme werden angesehen, um die eigene Sensationslust zu stillen, soziale Anerkennung zu erlangen oder um sich die Zeit zu vertreiben.

Viele Schulen versuchen sich dagegen mit einem generellen Handy-Verbot zur Wehr zu setzen. „Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht. In der Schule sollte die Kommunikation direkt sein“, meint Thomas Schumann, stellvertretender Schulleiter der Ernst-Schering-Oberschule in Berlin-Wedding. Doch für Jugendliche ist das Handy ein wichtiges Identifikationsobjekt, „ein Teil ihres Körpers“, wie die Medienwissenschaftlerin Grimm meint. Und: „Bisher schenkt man den Vorlieben der Jugendlichen keine Aufmerksamkeit“, sagt Warkus. Dabei gäbe es viele Möglichkeiten, das Handy konstruktiv in den Unterrichtsalltag einzubinden. Das Medienkompetenzzentrum in Berlin-Neukölln etwa hat bei einem Handy-Battle die Schüler angeregt, kreativ mit dem Handy umzugehen und Filme zu Themen wie „Eine Liebeserklärung an mein Handy“ oder „Star Wars – die Handys schlagen zurück“ zu drehen. Im Physikunterricht könnte man Strahlung und Recycling von Handys untersuchen, im Deutsch-Leistungskurs den SMS-Jargon. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, aber zuerst müssen sich die Lehrer mit der Thematik auseinandersetzen. Vielleicht, indem sie sich von den Schülern bei einem Projekttag über die Faszination des Handys aufklären lassen.