Liebe lenkt ab

Von wegen Wut – Strom sparen ist der revolutionäre Tipp der Stunde. Mit „Die fetten Jahre sind vorbei“, liebevoll inszeniert, eröffnet das Gorki Studio sein „Kloster der Wut“

In seiner ersten Spielzeit ließ Intendant Armin Petras im Studio des Maxim Gorki Theaters unter dem Projekttitel „Kinder der Sonne“ junge europäische Theatermacher nach Themen forschen, die junge Europäer heute umtreiben. Zum Ende hin wird das Produktionstempo noch einmal gesteigert: Unter der Leitung des gerade einmal 27-jährigen Regisseurs Tilmann Köhler wirkt jetzt das „Kloster der Wut“ im Gorki Studio. Bis zum 14. Juni erarbeiten junge Regisseure, Autoren und Schauspieler in zwei Monaten rund zwanzig Aufführungen, Werkstattpräsentationen, Podiumsdiskussionen.

Eröffnet wurde der Arbeitsmarathon am Dienstag von Frank Abt, der jüngst das „100-Grad-Festival“ am HAU gewann. Er inszenierte „Die fetten Jahre sind vorbei“ nach Hans Weingartens erfolgreichem Kinofilm von 2004. Darin erfährt man, dass Wut gerade bei jungen Menschen sehr häufig auftritt, und dass man sie nicht wegkiffen, sondern als Motor für den Kampf gegen all die Ungerechtigkeiten auf der Welt nutzen sollte. Der Film wurde nicht zuletzt als Beleg einer Sehnsucht nach Politik und Haltung diskutiert.

Weingarten erzählte eine Dreiecksgeschichte von Jule, Peter und Jan, aufgepeppt durch relativ naive politische Statements. Peter und Jan steigen nachts in große Villen ein, verrücken die Möbel und hinterlassen kluge Bemerkungen wie „Die fetten Jahre sind vorbei“. Dann verlieben sich Jan und Jule. In einer unüberlegten Spontanaktion brechen sie in das Haus des Managers Hardenberg ein, dem Jule viel Geld schuldet, werden von ihm überrascht, rufen Peter zu Hilfe, spielen einen Moment lang Geiselnehmer, bis es der Geisel zu bunt wird und sie sich freundlich verabschiedet. Dann ist das Stück vorbei und der Kampf auch.

Abt setzt die fetten Jahre in den kargen Einheitsraum des Gorki Studios sehr liebevoll und erfinderisch, mit Sinn fürs Details und viel Humor. Die Wucht, mit der ein geliebter Mensch den Liebenden trifft, übersetzt er in Megaphone, durch die sich das dicht beieinander sitzende Pärchen unterhält. Maximilian Grill, der sehr unaufgeregt, ernst und differenziert den Jan spielt, hängt ganz behutsam eine Discokugel an die Decke, die für seine Liebste Sterne über die Wände fahren lässt. Der Ferrari vor des Managers Tür ist als Papiertiger zwischen die Scheinwerfer geklebt.

Auf einem der Klingelschilder am Eingang findet sich der Name des Regisseurs. Jan und Jule (Iringó Réti) hat Abt als liebenswerte Chaoten mit schlichtem Gemüt angelegt, die zwischen den Szenenblöcken Slapstick-artig über die Bühne stolpern und dabei an Dick und Doof erinnern. Jule hat ein gutes Gespür für Ungerechtigkeiten, überblickt komplexere Zusammenhänge aber nur in Maßen. An ihrer misslichen Situation als Schuldnerin ist sie selbst schuld und nicht das System. Jan sagt zwar so kluge Dinge wie, ein wachstumsorientierter Markt vertrüge keine glücklichen Menschen, die dann ja nichts mehr brauchen, ist aber naiv genug, Hardenberg (Horst Kotterba) eine politische Jugend abzunehmen, bloß weil dieser lange Haare trug und mit mehr als einer Frau geschlafen hat.

Leider tänzelt die witzige Inszenierung um einen ziemlich schwachen Inhalt. Darin gleicht der Theaterabend dem Kinofilm. Dem coolen desillusionierten Peter, der die Liebe als vom Kampf ablenkend kritisiert, wird mit diesem Abend recht gegeben. Am Ende ist die Geisel nicht ins Zweifeln geraten, sondern nur etwas nostalgisch geworden angesichts des jungen Glücks. Jan und Jule sind glücklich miteinander und guter Hoffnung außerdem. Sie haben kein Problem mehr mit dem System, denn sie sind darin angekommen.

Die Weltveränderungsambitionen weichen der vorsichtigen Weltverbesserung. Die Kritik am großen Ganzen wird durch Sisyphusarbeit am Detail ersetzt. Man solle doch einfach weniger Strom verbrauchen, raten die beiden dem Publikum, und vielleicht auch öfter lieben statt immer nur fernzusehen: Konsumkritik ist alles, was von der Erwartung der politischen Haltung übrig geblieben ist. Wer keine Visionen hat, zieht sich eben entweder ins Private zurück wie Jan und Jule oder wird ironisch wie Frank Abt. CORNELIA GELLRICH

„Die fetten Jahre sind vorbei“. Bis zum 26. 5. im Maxim Gorki Studio, 20 Uhr