: Time takes a cigarette
Die designierte Intendantin der RuhrTriennale ist tot. Marie Zimmermann beendete ihr Leben nach langer Krankheit selbst. Das Ruhrgebiet verliert damit auch eine wichtige Protagonistin für 2010
EIN NACHRUF VON PETER ORTMANN
Es ist eine Nachricht, die Gänsehaut verursacht: Marie Zimmermann, die designierte Intendantin der RuhrTriennale von 2008 bis 2010, ist tot. Die deutsche Kultur verliert damit eine ihrer ganz großen Theatermacherinnen – das Ruhrgebiet verliert eine große Hoffnungsträgerin auf seine kulturelle Zukunft.
Ihr Leben sei wie ein Schweizer Käse, sagte sie einmal vor Jahren. Sie sei immer irgendwo und nirgendwo. Kein Wunder bei 120 Theaterreisen quer durch die Welt im Jahr. Marie Zimmermann stammte aus Nordrhein-Westfalen. Sie wurde 1955 in Simmerath bei Aachen geboren. Als Germanistin machte sie ihre ersten Bühnenerfahrungen als Dramaturgin in Esslingen und Freiburg und war von 1993 bis 1999 Geschäftsführende Dramaturgin am Stadttheater Stuttgart. Dort lernte sie auch ihren späteren Mann Friedrich Schirmer kennen, der dort Intendant war und heute das Hamburger Schauspiel leitet. 2001 wurde sie Schauspieldirektorin der Wiener Festwochen. Im Jahr 2005 leitete Marie Zimmermann erfolgreich das internationale Festival „Theater der Welt“ in Stuttgart. Sie managte Performances für Kinder im Krankenhaus und ließ Videos im Hauptbahnhof installieren. Die gesamte Weltbevölkerung wurde mit 6,4 Milliarden Reiskörnern dargestellt. Viele Jahre lang war sie für ihr Programm durch die Theater der Welt gereist, erzählte anschließend in Stuttgart von der Lust auf und der Angst vor Veränderung, vom „Heimweh nach der Zukunft“ und vom „Wörterbuch des Schweigens“.
Dieser Ansatz machte die flippige Kettenraucherin auch zur Kandidatin für die RuhrTriennale. Einstimmig wurde sie im letzten Jahr vom Aufsichtsrat gewählt. „Mir wird genug einfallen, hier was Ungewöhnliches auf die Beine zu stellen“, sagte sie bei ihrer ersten Vorstellung mit rauchiger Stimme, während sie sich in den heiligen Hallen der NRW Staatskanzlei die nächste Zigarette anzündete. Die anwesenden Herren Schlipsträger kämpften umgehend um die letzten sauberen Aschenbecher.
Marie Zimmermann wäre die RuhrTriennale-Chefin während der Europäischen Kulturhauptstadt 2010 gewesen. Theater und bildende Kunst hätten bei ihrer Intendanz im Ruhrgebiet einen ganz besonderen Stellenwert bekommen. Denn neben interessanten Inszenierungen beschäftige sie vor allem die weltweite Migration, für Zimmermann war das eine neue Völkerwanderung, und die Frage, wie städtisches Leben im 21. Jahrhundert aussehen kann. Dazu war sie eine ausgewiesene Kennerin der Off-Szene im deutschsprachigen Raum. Sie kannte deren ständigen finanziellen Probleme und Existenzängste. „Ich weiß, wie sich das anfühlt“, sagte sie damals in Düsseldorf nachdenklich und wollte sich umgehend auf „suchende Heimatkunde“ begeben. Denn seit 20 Jahren war die überaus sympathische Theaterfrau nicht mehr in Nordrhein-Westfalen tätig gewesen und empfand die Ruhr-Region fast als Ausland. Ihr Freitod nach schwerer Krankheit in einer Hamburger psychiatrischen Klinik macht europaweit betroffen. Auch bei der RuhrKultur GmbH in Gelsenkirchen ist man schockiert. Voller Ideen hätte Marie Zimmermann die Arbeit für ihre erste Spielzeit 2008 bei der RuhrTriennale aufgenommen. „Sie hat uns alle mit ihrem Elan angesteckt, wir sind fassungslos und traurig“, erklären der NRW-Kultur-Staatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff und Intendant Jürgen Flimm gemeinsam. Nun sollen die ersten Planungen von Marie Zimmermann für die Ruhrtriennale fortgesetzt werden.
Wie groß die Lücke sein wird, die der Tod von Marie Zimmermann in der Zukunft der Ruhrgebiets-Kultur hinterlassen wird, werden die kommenden Jahre schonungslos aufzeigen. Schon 2005 bei Theater der Welt hatte sie „Heimweh nach der Zukunft“. Doch ihr Tod beendete leider dieses Gefühl. Jetzt herrscht erst einmal tiefe Trauer.