: Staat hat Mitschuld an Kevins Tod
Bremer Untersuchungsausschuss: Individuelles Versagen führte zum Tod des Kleinkinds. Der Sachbearbeiter beim Jugendamt beteuerte stets, Kevin gehe es gut
BREMEN taz ■ Der Ziehvater des qualvoll zu Tode gekommenen Kevin aus Bremen kommt wegen Mordes vor Gericht. Außerdem wird Bernd K. wegen Misshandlung Schutzbefohlener und gefährlicher Köperverletzung angeklagt. Dies sagte gestern ein Sprecher der Bremer Staatsanwaltschaft. Die Leiche des Zweijährigen war im Oktober 2006 im Kühlschrank des drogensüchtigen K. gefunden worden. Zu diesem Zeitpunkt war Kevin nach Überzeugung der Gerichtsmediziner seit Monaten tot.
Der parlamentarische Untersuchungsausschuss „Kindeswohl“ kommt in seinem Abschlussbericht, der gestern vorgestellt wurde, zu dem Ergebnis, dass der Tod ein Einzelfall war. „In hohem Maße“ heißt es darin, sei der Tod Kevins „auf individuelles Fehlverhalten mehrerer beteiligter Personen zurückzuführen“. Dazu zählt der Ausschuss an erster Stelle den Sachbearbeiter beim Jugendamt, der Kevin von Geburt an kannte und trotz überdeutlicher Hinweise auf Drogenmissbrauch durch den Ziehvater und schwere Kindesmisshandlung das Kind bei ihm ließ – auch nachdem die Mutter unter ungeklärten Umständen in der gemeinsamen Wohnung ums Leben gekommen war.
Verantwortlich seien aber auch die Vorgesetzten des Sachbearbeiters, stellt der Ausschuss fest. Diese waren bis hin zum Leiter des Amtes für Soziale Dienste informiert gewesen. Der Leiter des Kinderheims, in dem Kevin zeitweise untergebracht war, hatte die Sozialsenatorin um Hilfe gebeten, weil er sich um das Wohl des Jungen sorgte. Sie alle hätten sich nicht auf die Aussagen des Sachbearbeiters verlassen dürfen, der stets beteuerte, Kevin gehe es gut, auch dann noch, als der Junge vermutlich längst tot war. Die Leiche wurde entdeckt, als das Jugendamt ihn mit Polizeihilfe aus der elterlichen Wohnung holen wollte.
Bernd K. soll Kevin zu Tode geprügelt haben. Ob er schuldfähig ist, muss im Prozess geklärt werden, eine psychiatrische Untersuchung lehnt er ab. Ermittlungen laufen außerdem gegen den Sachbearbeiter sowie den Amtsvormund, der das Sorgerecht hatte. Politische Verantwortung hatte die damalige Sozialsenatorin Karin Röpke übernommen, die einen Tag nach dem Fund der Leiche zurückgetreten war. Durch Kevins Tod sind Missstände im Bremer Jugendhilfesystem deutlich geworden. Aufgrund hohen Spardrucks sei Sozialarbeit zunehmend von Kosten und nicht fachlichen Überlegungen bestimmt worden, sagte der Ausschussvorsitzende Helmut Pflugradt (CDU). „Dafür sind wir Politiker verantwortlich“, ergänzte SPD-Obmann Hermann Kleen. EIKEN BRUHN