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Archiv-Artikel

Eichmanns Henker, Wagners Fan

JÜDISCHES FILMFESTIVAL Ein Markenzeichen des Jüdischen Filmfestivals ist seine Vielfalt, neben internationalen Kinoproduktionen zeigt es auch israelische Fernsehserien. Die 17. Ausgabe läuft in Potsdam und Berlin

Stephen Fry bewundert das Festspielhaus Bayreuth, schwärmt vom Tristan-Akkord, aber immer wieder funkt Adolf Hitler dazwischen

VON LUKAS FOERSTER

Ein alter Mann mit weißem Haar, Schläfenlocken und Kippa segnet eine Frau, dann nimmt er sich ein Huhn und schneidet dem Tier die Kehle durch. Der Mann heißt Shalom, er führt rituelle Schlachtungen durch. Der Film „Hatalyan“ („The Hangman“) begleitet ihn zunächst für einige Minuten kommentarlos bei seiner Arbeit. Dann folgen ein Blick in den blauen Himmel und der Schriftzug: „The lot fell on you“.

Shalom vollstreckte am 31. 5. 1962, lernt man anschließend, an dem SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, der maßgeblich an der Massenvernichtung im Dritten Reich beteiligt war, das einige Monate vorher ausgesprochene Todesurteil. Der jemenitische Jude war ein einfacher Gefängniswärter, der vor dem berühmten Prozess über den Gefangenen und seine Verbrechen fast gar nichts wusste. Der Eichmann-Tod hat sich in Shaloms Gedächtnis eingebrannt; eine der vielen Geschichten, die er im Laufe des Films erzählt, handelt von den finalen Worten, die der Nazi an ihn gerichtet haben soll – und zwar noch nach seinem Tod: Im Bauch des Erhängten habe sich während der Hinrichtung Luft angesammelt, die schließlich mit einem letzten Fluch entwichen sei.

Vom Rand der Gesellschaft ins Zentrum der Geschichte

„Hatalyan“ enthält historisches Bildmaterial von Prozess und Hinrichtung, später tauchen auch andere Aufnahmen aus dem Archiv auf, unter anderem vom Sechstagekrieg 1967. Ab 1971 lebte Shalom in einer der ersten jüdischen Siedlungen in Hebron, erst nach dem Goldstein-Massaker 1994 – dem blutigen Amoklauf eines Siedlers, über den Shalom mit seiner Frau streitet – kehrte er ins israelische Stammland zurück.

Vom Rand der israelischen Gesellschaft findet dieser außergewöhnliche Film einen Weg mitten hinein in die Geschichte des 20. Jahrhunderts. In erster Linie ist „Hatalyan“ aber keine historische Diashow, sondern das liebevolle Porträt eines alten, tiefreligiösen Mannes. Die Filmemacherinnen Netalie Braun und Avigail Sperber zeigen Shalom inmitten seiner alltäglichen, ärmlichen Umgebung, sie lauschen geduldig gemeinsam mit Nachbarn und Familie seinen Erzählungen und Ansichten, sie unterbrechen auch nicht, wenn das Gespräch abschweift und sich religiösen Parabeln zuwendet – oder dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad.

„Hatalyan“ ist Teil des Jüdischen Filmfestival, das 2011 bereits seinen 17. Jahrgang erlebt und damit in der reichhaltigen, aber schnelllebigen Berliner Kinoszene mit gutem Recht als eine Institution gelten darf. Eröffnet wird das Festival dieses Jahr im Filmmuseum Potsdam, eine Woche später macht es wie gewohnt im Berliner Arsenal Station. Ein Markenzeichen des Programms war stets seine Vielfalt. Auch 2011 vereinigt das Festival ein breites Spektrum unterschiedlicher Nationalkinematografien, Genres und Thematiken.

Noch weiter zurück als „Hatalyan“, nämlich bis ins 19. Jahrhundert, begibt sich der Dokumentarfilm „Wagner & Me“, inszeniert von Patrick McGrady. Der begleitet den britischen Schauspieler, Schriftsteller, Entertainer und Verehrer Richard Wagners, Stephen Fry, auf einer Art kritischen Wallfahrt nach Bayreuth. Fry bewundert das Festspielhaus, schwärmt vom Tristan-Akkord und besichtigt den Orchestergraben. Aber immer wieder funkt Adolf Hitler dazwischen. Der jüdischstämmige Fry rekapituliert die antisemitischen Tiraden des Komponisten und die Verbindungen seiner Nachlassverwalter zum Nationalsozialismus, er unternimmt einen Abstecher nach Nürnberg zum ehemaligen Reichsparteitagsgelände und unterhält sich dort mit dem Wagner-Biografen Joachim Köhler („Wagners Hitler“).

Manches ist eitel und albern an diesem Film, auch plädiert Fry, anders als Köhler, dafür, den Künstler Wagner vom Ideologen Wagner zu trennen. Dennoch legt der Film eindrucksvoll, wenn auch vielleicht nicht immer freiwillig, offen, auf welche Weise „Tod und Vernichtung […] hinter der Wagnerschen Freiheitskulisse“ (Adorno) bereitstehen.

Streit um vermeintlich rassistische Hunde

Das Festival beschränkt sich nicht auf Kinoproduktionen, sondern stellt dem deutschen Publikum außerdem gleich zwei israelische Fernsehserien vor: Zum einen die israelische Variante des britischen Welterfolgs „The Office“, zum anderen neue Folgen der komödiantisch angelegten Serie „Arab Labor“, deren erste Staffel das Festival bereits 2008 ins Programm genommen hatte.

Die Serie verhandelt das Alltagsleben einer Gruppe arabischer Israeli und ihr schwieriges Verhältnis zur jüdischen Mehrheitsgesellschaft. Auf spielerische Weise und ohne irgendeine ihrer Figuren zu verurteilen sucht „Arab Labor“ das Politische im Privaten: Es geht um den Wasserdruck in den Duschen, der in den jüdischen Vierteln höher sein soll als in den arabischen, um vermeintlich rassistische Hunde, um tumbe Männer – jüdische wie arabische – und um Frauen, die meistens schon ein, zwei Schritte weitergedacht haben.

■ 18.–22. 5. im Filmmuseum Potsdam, 23.–31. 5. im Kino Arsenal