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Archiv-Artikel

„Ich schäme mich, Nigerianer zu sein“

Ein Dorf im Norden Nigerias bei der Präsidentschaftswahl am Samstag: Es gibt zu wenig Wahlzettel, sie haben keine Seriennummern und werden noch vor der Abstimmung von der Polizei weggebracht. „Niemand von uns konnte wählen“

AUS KATSINA ILONA EVELEENS

„Niemand von uns konnte wählen“, erzählt Bello Hamisu entsetzt. Um den Wahlbeobachter für die Oppositionspartei ANPP nicken andere Männer zustimmend. Eine Gruppe Frauen steht abseits, und auch sie scheinen noch immer erstaunt über die Ereignisse in ihrem Dorf Yashe im nordnigerianischen Bundesstaat Katsina. Der kleine Ort aus sandfarbigen Lehmhäusern fällt kaum auf in der gleichfarbigen Sahellandschaft. Selbst die Ziegen und Kühe sind sandfarben.

In Yashe gab es sechs Wahllokale für 800 Wähler. Am Wahltag kamen die Funktionäre der Wahlkommission Inec mit genügend Wahlzetteln für die Parlamentswahlen – aber nur 60 für die Präsidentenwahl. Letztere wurden erst Ende voriger Woche in Südafrika gedruckt, nachdem Nigerias oberstes Gericht den bisherigen Vizepräsidenten Atiku Abubakar von Oppositionspartei Action Congress (AC) zur Wahl zugelassen hatte.

Die neuen Wahlzettel hatten keine Seriennummern, sondern nur Nullen. „Wurden wirklich zu wenige gedruckt? Oder hat jemand eine Menge Wahlzettel behalten und ausgefüllt?“, fragt sich ein Dorfbewohner. Bello Hamisu erzählt, was nach der Anlieferung passierte: „Die Leute von der Wahlkommission hatten kaum ihre Wahllokale aufgestellt, als Abdul Samadu Yusuf, der Vorsitzende der örtlichen Behörde, mit vierzig Polizisten kam. Sie nahmen Urnen und Zettel mit und auch die Wahlfunktionäre verschwanden.“

Die Wähler in Yashe sind nicht die Einzigen in Nigeria, die das Gefühl haben, am Samstag überhaupt keine Möglichkeit zur Wahl bekommen zu haben. „Man hat uns die Macht genommen, unsere Wahl auszudrücken“, meint Bello Hamisu, dessen Partei All Nigerian People’s Party (ANPP) unter General Muhammadu Buhari im Norden Nigerias ihre Basis hat. Die Regierungspartei People’s Democratic Party (PDP) benutzt alle Mittel, um ihren Präsidentschaftskandidaten Umaru Yar’Adua zum neuen Präsidenten wählen zu lassen. Yar’Adua war bisher Gouverneur des Bundesstaats Katsina.

In seinem gekühlten Raum, wo dutzende junger Männer auf Banken lümmeln, beschwört Behördenchef Abdul Samadu Yusuf, nicht aus seinem Büro weggewesen zu sein. „Bei Wahlen erzählen Leute, die mit den Ergebnissen unzufrieden sind, oft komische Geschichten“, sagt er. Er meint, dass die Wahlen gut, ehrlich und friedlich verliefen.

Die verschwundenen Urnen und Wahlzettel sind auch nicht im Büro der Wahlkommission von Yashe. Inec-Funktionär Abubakar Hassan versteht das nicht. Vor seiner Tür stehen Bewohner aus anderen Dörfern mit Beschwerden, dass auch sie nicht wählen konnten. Einer ruft: „Wir haben eine Ahnung, wo die Sachen sind! In Häuser von Abgeordneten von der PDP!“

Der 61-jährige Said Adado, seit 35 Jahren Beamter, hat dieselbe Erfahrung in seinem Dorf Jobe Kandawa gemacht. „Auch wir konnten nicht wählen. Die Polizei bedrohte uns, als wir dagegen protestierten, dass sie die Urnen mitnahmen. Ich habe schon viele Wahlen erlebt, aber diese waren die schlimmsten. Ich schäme mich, Nigerianer zu sein.“

In Hauptquartier der Wahlkommission in Jobe Kandawa beschreibt Inec-Funktionär Yakubu Ahmed den Urnengang als „sehr friedlich“. In der Ecke seines Büros kippten Männer Wahlurnen aus und leeren Wahlzettel in Sporttaschen. Die räumen bloß auf, sagt er: „Das sind die Wahlzettel vom vorigen Samstag.“ Die Frage, warum die Wahlzettel nicht schon längst im Hauptquartier der Wahlkommission in Abuja liegen, beantwortet er nicht. Überprüfen darf man die Zettel nicht.

Schon bevor PDP-Kandidat Yar’Adua offiziell zum Wahlsieger in Nigeria erklärt und als neuer Präsident vereidigt wird, ist sein Ruf wegen der Wahlmanipulation bereits ruiniert. Viele enttäuschte Wähler in Katsina greifen nach dem heißen Wahltag zu langen Stöcken und Macheten und ziehen aufgebracht in Gruppen durch die sandigen Dorfstraßen. Ein junger Mann schreit: „Das ist das Einzige, was uns übrig geblieben ist, nachdem die Regierung und die Wahlkommission uns zweimal die Wahlen gestohlen haben.“