„Ich glaube nicht an ein soziales Europa“

Europa braucht Mindestlöhne und eine einheitliche Besteuerung von Unternehmen, sagt Guillaume Duval

taz: Herr Duval, der EU-Finanzministerrat hat am Wochenende den Wachstums- und Stabilitätspakt bekräftigt. Die Teilnehmer des gleichzeitig stattfindenden „alternativen Ecofin“ forderten dagegen einen „sozialen Stabilitätspakt“. Was ist damit gemeint?

Guillaume Duval: Zum Beispiel ein Mindestlohn für jedes europäische Land. Der dürfte nicht europaweit einheitlich sein, sondern müsste an die Wirtschaftsleistung des jeweiligen Landes gekoppelt werden.

Was würde das bringen?

Sicherheit. Wir leben in einem einheitlichen Markt, in dem Waren und Dienstleistungen über die Grenzen hinweg gehandelt werden. Mindestlöhne könnten die Lohnkonkurrenz in Europa verringern.

Nicht nur bei den Löhnen, auch bei den Steuern gibt es einen harten Standortwettbewerb in Europa.

Darum brauchen wir auch bei der Unternehmensbesteuerung europäische Regeln. Momentan verschieben international tätige Konzerne ihre Gewinne dorthin, wo die Steuern am niedrigsten sind, zum Beispiel nach Irland. Am liebsten wäre mir eine echte Harmonisierung der Unternehmenssteuern, dann hätten wir zumindest in Europa das Steuerdumping abgeschafft. Aber selbst wenn man nur die Bemessungsgrundlage vereinheitlicht, wäre das schon ein großer Schritt.

Warum?

Dann könnten Unternehmen ihre Gewinne nicht mehr so leicht in Niedrigsteuerländer verschieben. Sie müssten dann dort Steuern zahlen, wo sie ihre Gewinne erwirtschaftet haben.

Woran scheitert eine solche Reform der Unternehmensbesteuerung bislang?

Das liegt an den kleinen Ländern, die gut an dem Steuerwettbewerb verdienen. In der EU gilt in Steuerfragen eben das Prinzip der Einstimmigkeit. Das hätte sich mit der Verfassung übrigens geändert.

Abgesehen von der Steuerpolitik – wie kann Europa sonst noch sozialer werden?

Ich bin da skeptisch. Ich glaube nicht an ein soziales Europa. Das Soziale wird seit eh und je auf nationaler Ebene geregelt. Das wird sich schwer ändern lassen.

Gibt es das so oft beschworene „europäische Sozialmodell“ überhaupt?

Es gibt schon eins, aber es hat sehr viele verschiedene Ausprägungen. Nehmen Sie Skandinavien: Selbst in Dänemark ist das Sozialsystem schon ganz anders als in Schweden. Das kann man nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Wichtig ist, dass die europäischen Wirtschaftsregeln diese Systeme nicht aushöhlen.

Auf Ihrem Vortrag beim „alternativen Ecofin“ sprachen Sie vom „räuberischen Deutschland“. Was haben Sie damit gemeint?

Die deutsche Wirtschaftspolitik der letzten zehn Jahre war eben nicht nur schlecht für Deutschland, sondern auch für seine Nachbarn. Sie zielte darauf, die Arbeitskosten in Deutschland zu senken, um so mehr in die Nachbarländer exportieren zu können. Die deutsche Wirtschaft verdient ja zwei Drittel ihres Exportüberschusses in den europäischen Nachbarländern. Außerdem trägt Deutschlands Wirtschaftspolitik einen großen Teil der Schuld dafür, dass das europäische Projekt von so vielen Europäern abgelehnt wird. Sie hat nämlich dazu geführt, dass es weniger Wachstum und Beschäftigung in Europa gab.

INTERVIEW: NIKOLAI FICHTNER