„Viele Berliner Läden haben einfach keinen Soul mehr“

POPMUSIK Seit 15 Jahren veranstaltet Ran Huber Konzerte in Berlin. Viele seiner Bands sind Geheimtipps, die Locations meist unbekannt. Ein Gespräch über echte Kracher auf dem Plattenteller, schlechten Sound und Spielstätten am Stadtrand

■ Anfang der Neunziger kam Ran Huber aus Weilheim in Bayern nach Berlin.

■ 1993 eröffnete er in Mitte die sogenannte Fensterbar, auch bekannt als Bügel- oder Höschenbar.

■ Erste Konzerte veranstaltete Huber ab 1999 in Clubs und Subkulturstätten wie Maria am Ostbahnhof oder der Galerie Berlin Tokyo.

■ Bis heute hat Ran Huber mit seiner Agentur Am Start über 1.000 Konzerte in Berlin veranstaltet, darunter Acts wie Masha Qrella oder Ja, Panik.

■ Mitte September gewann er den nationalen Spielstättenprogrammpreis, mit dem herausragende Livemusikprogramme gewürdigt werden.

■ Eine Ran-Huber-Produktion mit den Bands Safi und Mondo Fumatore findet am 27. September im Club Ausland statt.

INTERVIEW ANDREAS HARTMANN
FOTOS PIERO CHIUSSI

taz: Herr Huber, wenn Sie ein Konzert einer dieser Newcomer-Bands veranstalten, die oft aus Berlin kommen, von denen man vorher aber noch nie gehört hat, preisen Sie diese bei Pressevertretern gern so an, als sei das jetzt die beste Band aller Zeiten.

Ran Huber: Das ist dann aber auch so. Ich habe nie etwas gemacht, wo ich eigentlich insgeheim dachte: Nee, das ist scheiße.

Wie kommen Sie denn an all die Geheimtipps, die erst morgen so richtig bekannt sein werden?

Hauptsächlich über persönliche Tipps. Natürlich bekomme ich auch von Bookingagenturen Tausende Mails, in denen irgendwelche Bands angeboten werden. Im Normalfall habe ich aber genug damit zu tun, in meinem eigenen Umfeld zu stöbern.

Nicht nur die Oper und das Theater werden in Berlin gefördert, sondern auch viele der Popkonzerte, die Sie hier veranstalten. Warum ist das so?

Nun ja, Oper und Theater erhalten jährlich Millionenbeträge, ich ein paar tausend Euro. Aber gut, viele meiner Veranstaltungen bekommen Zuschüsse, weil man ein Konzert mit unter 200 Gästen nicht durch Eintrittsgelder finanzieren kann. Zumindest nicht, ohne dabei jemanden abzuziehen. Und meine Konzerte sind nun mal meist so konzipiert, dass da gerade mal zwischen 40 und 140 Leute kommen.

Es gibt Stimmen, die sagen, Popmusik sollte nicht staatlich gefördert werden, denn das nehme ihr den letzten Rest subkulturellen Gehalts …

Man muss den Einzelfall betrachten. Ich selbst sehe diese Förderungskultur teilweise kritisch. Aber in meinem Fall macht eine Förderung total Sinn, weil ich ja wirklich Türen öffne. Junge und noch unbekannte Bands brauchen Plattformen wie meine, um überhaupt etwas Aufmerksamkeit zu bekommen.

Sie veranstalten also Konzerte kleiner Bands, die auch dank Ihnen größer und vielleicht zu groß werden, um sich noch weiter von Ihrem Ein-Mann-Unternehmen Am Start vertreten zu lassen. Ist das nicht frustrierend und undankbar?

Doch, ja. Darunter habe ich eine Zeit lang wirklich gelitten. Wenn diese Bands irgendwann eine Bookingagentur haben, dann interessiert es sie meist nicht mehr, wer ihnen in Berlin das erste Konzert veranstaltet hat. Für mich wäre es jedoch entspannter, wenn man die ganzen Beete, die man bestellt hat, auch ernten könnte. Und ich wenigstens mal ein Jahr lang sagen könnte: Ich hole mir keine Fördergelder mehr und entdecke neue Künstler, sondern mache mit den Bands, mit denen ich bereits gearbeitet habe, einfach weiter – was mir ein sorgenfreies Jahr garantieren würde.

Ihre Konzerte veranstalten Sie meist in neuen, weitgehend unbekannten Berliner Locations. Diese Freiräume verschwinden jedoch zunehmend in den zentralen Lagen. Dafür eröffneten jüngst vermehrt Spielstätten in Neukölln und auch in der Peripherie der Stadt. Entspannt sich die Lage dadurch wieder?

Ich bin tatsächlich nicht nur Entdecker neuer Bands, sondern auch neuer Läden, die ich dann mit aufbaue. Der Laden bleibt den Leuten nach einem Konzert in Erinnerung, aber der Typ, der den Leuten diesen Laden ins Bewusstsein gebracht hat, natürlich nicht. Aber was die Frage nach den Locations für Konzerte in Berlin angeht: Ich sehe da jetzt nicht so die Entspannung. Oft lautet das Argument ja, die Stadt würde nicht aussterben, wenn die Off-Kultur an die Ränder weiterzieht. Aber wer will denn an diesen Rändern seinen Spaß haben? Und ein neu eröffneter Laden heißt ja nicht automatisch, dass es sich dabei auch um einen guten Konzertort handelt. In neuen Clubs stellt man oft fest, dass da nicht mal eine richtige Anlage vorhanden ist, oder es heißt, man nehme nur Akustikbands oder solche ohne Schlagzeug. Oder aber der Sound in dem Laden ist grottenschlecht.

Welche Läden in Berlin haben Sie eigentlich mit aufgebaut?

Den King Kong Club zum Beispiel. Das HBC, das Zentral und den Club Zentrale Randlage. Gibt es alle leider heute nicht mehr.

Wenn Sie privat auf ein Konzert in Berlin gehen, wo gefällt es Ihnen am besten?

Ich finde die bestehende Konzertorte-Kultur in Berlin für die Größe und Wildheit der hiesigen Szene – sehr schlecht. Man ist letztlich immer wieder auf dieselben paar Locations angewiesen, wo der Sound einigermaßen okay ist. Im Privatclub ist die Anlage sehr gut. Mittlerweile auch in der Berghain Kantine, inzwischen einer der führenden Orte in Berlin für Konzerte von guten und etwas avancierteren Bands. Und das Lido ist noch ganz okay.

Einige Konzerthallen in Berlin sind ziemlich hässlich. Ich meine die O2 World , aber auch Läden wie die Columbiahalle oder den Columbiaclub. Diese Orte haben so gar keinen Charme …

Das kommt noch dazu. Auf ein Konzert zu gehen ist eben mehr, als nur einen Raum zu betreten, eine Band anzusehen und wieder rauszugehen. Viele der Läden in Berlin haben einfach keinen Soul mehr und bieten keine Atmosphäre.

Sie selbst sind anwesend auf all den Konzerten, die Sie veranstalten. Inwieweit laufen Sie Gefahr, Arbeit und Freizeit nicht mehr voneinander trennen zu können?

Auf meinen Veranstaltungen mache ich wirklich alles allein, außer vielleicht der Kasse. Entspannen kann man dabei nicht, was etwas schade ist, denn ich mache die Konzerte nach wie vor, weil ich die auftretenden Bands selbst gut finde und sie mir eigentlich ansehen will. Ich bin in dem Job sowieso immer getrieben und denke, dass ich noch etwas machen muss. Es gibt nicht den Punkt, wo man sagen kann: Jetzt ist mal gut. Weil es geht ja immer weiter.

Kommen Sie denn gut über die Runden?

Immer gerade so. Aber ich bin auch allein, habe kein Auto, keine Frau, kein Kind. Ich lebe relativ bescheiden. Aber die Entlohnung steht für das, was ich mache, in keinem Verhältnis.

Sie organisieren nicht nur Konzerte, sondern haben bereits selbst welche gegeben. Erzählen Sie doch mal ein bisschen von Ihrer eigenen Karriere als Musiker.

Na ja, 1988 habe ich als Schüler mit meinem damaligen Banknachbarn – wir waren beide gerade durchgefallen – die Band The Notwist gegründet, heute eine der bekanntesten Indiebands der Welt. Ich sei der fünfte Beatle von Weilheim, sagt ein Freund von mir immer. Der Banknachbar von mir war natürlich Markus Acher, heute Sänger von The Notwist.

Und was für ein Instrument haben Sie gespielt bei The Notwist?

Ich habe gesungen. Markus Acher hat sich das damals nicht getraut.

Aber warum sind Sie dann so schnell wieder ausgestiegen? In der Biografie von The Notwist spielen Sie gar keine Rolle.

Weil Markus dann doch selbst singen wollte und ich wahrscheinlich auch kein so guter Sänger war – wobei man sagen muss: Markus hat damals auch nicht gut gesungen. Ich finde es aber gar nicht so schlimm, dass ich heute nicht mehr Mitglied von The Notwist bin. Wir wären eh nicht miteinander glücklich geworden.

Noch eine andere Gruppe wird mit Ihnen in Verbindung gebracht: die Sitcom Warriors aus Berlin, eine garagenpunkige Band, die immerhin eine Platte veröffentlicht hat.

Hätten wir damals weitergemacht, hätten wir eine große Karriere hingelegt, das habe ich gespürt. Wir waren die Strokes von Deutschland oder wenigstens von Berlin. Alle, die sich heute noch unsere Platte anhören, fragen immer: Was ist das denn bitte für ein Wahnsinn? Ich habe bei den Sitcom Warriors Schlagzeug gespielt. Der Sänger der Band fragte mich vor meinem Einstieg, ob ich einen Schlagzeuger kennen würde, und ich meinte: Ja, mich. Und so war ich drin.

Und warum gab es die Sitcom Warriors nur so kurz?

Das hatte verschiedene Gründe. Die anderen Bandmitglieder waren etwa zehn Jahre jünger als ich. Zwei von ihnen wollten unbedingt noch ihr Studium durchziehen und meinten immer: Touren ja, aber nur in den Semesterferien. Da gab es durchaus einige Konflikte. Und ich war als Schlagzeuger zwar ziemlich beliebt, aber ich habe halt nie geübt.

Neben Ihren Erfahrungen als Sänger und Schlagzeuger legen Sie heute als DJ Anna Platten auf. Welche Musik spielen Sie?

Absoluten Wildstyle. Als ich damals damit angefangen habe, war ich in Berlin der Einzige, der derart eklektizistisch auflegte. Heute ist diese Art DJing schon wieder uncool, weil das jetzt jeder macht. Ich schaffe es aber immer noch nicht, so richtige Kracher aufzulegen. Bei mir ist oft auch melancholische Musik dabei, weswegen ich wahrscheinlich auch nie ein richtiger DJ geworden bin.

Welche Musik kommt privat auf Ihren Plattenteller bzw. wen möchten Sie unbedingt mal in Berlin veranstalten?

Seit ich 15 Jahre alt bin, bin ich Fan von The Velvet Underground. Am liebsten veranstalten würde ich Nick Cave und Warren Ellis, die ihre Soundtracks live präsentieren. Das ist eigentlich ein gar nicht mal so gigantischer Wunsch.