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Archiv-Artikel

Dem Kopf fehlen die Füße

LENIN WIRD AUSGEGRABEN

Roter Monumentalschrott aus der Zeit des bösen Sozialismus – so was ist tabu!

Es mag auf den ersten Blick vernünftig daherkommen, dass der Kopf der nach dem Mauerfall vergrabenen riesigen Lenin-Skulptur nun doch ausgebuddelt wird. Der steinharte Schädel soll Kernstück der geplanten Dauerausstellung „Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler“ in der Spandauer Zitadelle werden. Am Montag verkündete Kulturstaatssekretär Tim Renner vorbereitende Maßnahmen für die Ausgrabung, während es vor einigen Wochen noch geheißen hatte, Lenins Kopf samt Korpus bleibe unter der Erde. Das ehemalige 19 Meter hohe Denkmal des sowjetischen Bildhauers Nikolai Tomski aus dem Jahr 1970, das bis 1991 am heutigen Ostberliner Platz der Vereinten Nationen (ehemals Leninplatz) stand, ist roter Monumentalschrott aus der Zeit des bösen Sozialismus – und muss nicht gezeigt werden. So was ist tabu!

Sicher, man muss das massige Denkmal und seine politisch-rituelle Bedeutung als Kranzabwurfstelle in der früheren „Hauptstadt der DDR“ nicht gut finden. Doch der Abriss des Lenin, die Umbenennung des Platzes, das Versteck irgendwo im tiefen märkischen Sand machen die Sache auch nicht besser. Der Berufsverband Bildender Künstler in Berlin erinnerte jetzt zu Recht an die „demonstrative Entpolitisierung des Stadtraums“ durch den „Denkmalsturz“ in jener Zeit. Wie der Lenin galten nach 1989 viele „rote“ Denkmäler in Berlin als politisch und ästhetisch kontaminiert, also weg damit!

Denkmäler – egal ob schön oder hässlich – sind Zeugnisse der jeweiligen Zeitgeschichte und künstlerischer Ausdruck des Denkens jener Epoche. Darin besteht ihr Wert, das ist die Erbschaft. Entfernt man diese per Bildersturm, entsteht ein Vakuum.

Ohne den Lenin lässt sich heute der Platzraum dort weder verstehen noch gibt es Hinweise zur Erinnerung des Ortes. Der Weg des geköpften Denkmals ins Museum gleicht diese Lücke nicht aus. Er ist darum weder vernünftig noch ein Ersatz für den Verlust von Kunst im öffentlichen Raum und von Berliner Geschichte. ROLF LAUTENSCHLÄGER