: Zurück bei Mama
LOKALREPORTAGE In ihrem Debütkrimi „Das Mädchen im Feuer“ wirft Conny Schwarz einen freundlich-satirischen Blick auf das Leben in der Provinz und überzeugt mit treffsicherer Figurenzeichnung – trotz Augenklappe
Thea Dombrowski hat nur noch ein Auge. Aber dieses ungewöhnliche Alleinstellungsmerkmal der Heldin, die Conny Schwarz sich für ihren ersten Kriminalroman ausgedacht hat, ist bei weitem nicht ihre einzige Qualität als Romanfigur. Thea ist leichtsinnig, trinkt zu viel, liebt ihre kleine Tochter Mari sehr und hat ein ambivalentes Verhältnis zu ihrer Mutter Ute, die so großzügig war, Tochter und Enkelin bei sich aufzunehmen, nachdem Thea all ihre Brücken in Berlin abgebrochen hat und in die süddeutsche Kleinstadt Wartenburg zurückgekehrt ist, aus der sie stammt.
Dort hat sie als Lokalreporterin angeheuert und wird von den Leuten insgesamt sehr freundlich aufgenommen – auch wenn sie ihr Bestes tut, die Einheimischen mit möglichst schrill designten Augenklappen zu schockieren. Es ist gleich eine doppelte Kalamität, in welche die neue Lokalreporterin bei ihrem ersten Fall gerät. Zunächst wird eine frühere, doch längst entfremdete Schulfreundin von einem Auto angefahren und so schwer verletzt, dass sie kaum noch Überlebenschancen hat. Dann brennt ein Rohbau, in dem eine freikirchliche Gemeinde von Russlanddeutschen eine Betschule eröffnen wollte.
Währenddessen bändelt Thea mit einem Feuerwehrmann an, der an Verschwörungstheorien glaubt, tröstet den Neonazi-Sohn ihrer tödlich verletzten Freundin und verdächtigt einen weiteren alten Jugendfreund, der als Erbe seines Vaters steinreich geworden ist, des Mordes. Endgültig unheimlich wird es, als Thea entdeckt, dass auf einem der Fotos, die sie vom Brand der Schule gemacht hatte, eine menschliche Gestalt im Feuer zu erkennen ist. Am Ende wird sich herausstellen, dass alles mit allem zusammenhängt, wenn auch auf nicht ganz so überraschende Weise, wie man es sich vielleicht erhofft hätte.
Das Schüren der kriminalistischen Verwicklung gehört nicht zu den allergrößten Stärken dieses Debüts, das dafür viele andere, weniger genre-immanente Vorzüge hat. Mit einer Provinz-Heimkehrerin als Protagonistin hat Conny Schwarz ihrem Krimi einen hervorragenden äußeren Rahmen verschafft, denn Theas Perspektive ist die einer Außenseiterin mit Insiderwissen, die ihre Umgebung dennoch neu entdecken muss und einen gesunden mentalen Abstand zu jeglicher Regionaltümelei hält. (Es ist auch stets nur die Rede von einem undifferenzierten „Süddeutschland“. Schwabisiert wird hier jedenfalls nicht.) Das erlaubt einen frischen, leicht satirischen Blick auf die Sitten und Umgangsformen der Kleinstadtbewohner. Ebenso wahrt die Autorin einen gesunden ironischen Abstand zu ihrer chaotisch veranlagten Hauptfigur und hat ein sicheres Händchen für Dialoge, in denen die Worte so sparsam wie wirkungsvoll gesetzt sind. Und obwohl der Roman über ein umfangreiches Personal verfügt, sind selbst die Nebenfiguren charakterlich klar konturiert und weitaus mehr als nur eine notwendige Beigabe.
Viele von ihnen verfügen über deutliches, zukunftsweisendes Entwicklungspotenzial, darunter die strahlend schöne, aber leicht unterbelichtete Redaktionsblondine, die Thea möglicherweise nicht nur den feschen Feuerwehrmann wegschnappt, sondern sich vor allem als tatkräftige Hilfsdetektivin entpuppen könnte. Beides findet sich im Roman erst einmal nur angedeutet. Auch werden wir bis zum Schluss in Unkenntnis darüber gelassen, wie Thea Dombrowski eigentlich ihr Auge verloren hat.
Viele Indizien, das lässt sich festhalten, deuten darauf hin, dass die Autorin sich offenhält, in Serienproduktion zu gehen. Das ist, falls es sich tatsächlich so verhalten sollte, ein unterstützenswertes Vorhaben.
KATHARINA GRANZIN
■ Conny Schwarz: „Das Mädchen im Feuer“. Dumont, Köln 2014, 382 Seiten, 9,99 Euro