: Heiligendamm schlägt Kreuzberg
Berliner Gipfelgegner bereiten sich seit Monaten auf den G-8-Gipfel im Juni vor. Die Organisation von Festivals, Workshops und einem Gegengipfel entzieht den Berliner Mai-Protesten Aktivisten und öffentliche Aufmerksamkeit
Normalerweise dreht sich um diese Zeit in Berlin alles um den 1. Mai. Welche Politgruppe macht wo und wann welche Demo? Wer hat die besten Protestkonzepte und sorgt für die breiteste Mobilisierung? Doch dieses Jahr spielen die 1.-Mai-Demos in Kreuzberg nur eine Nebenrolle. Denn es gibt kaum eine globalisierungskritische Gruppe in Deutschland, die zurzeit nicht mit den Vorbereitungen zum G-8-Gipfel beschäftigt ist. Ob Gewerkschaften, Umweltgruppen, Parteien, Flüchtlingsinitiativen oder Autonome – alle beteiligen sie sich an der Organisation der Proteste. Ein Großteil der Planung läuft in Berlin.
Ein Jahr Planung für den G-8-Gipfel
Manche Gruppen arbeiten schon seit gut einem Jahr an den Konzepten für die zahlreichen Aktionen rund um das G-8-Treffen. Jetzt geht die Planung in die heiße Phase. Allein in Berlin gibt es bis Anfang Juni noch knapp 30 öffentliche Veranstaltungen zum G-8-Gipfel.
Mehr als 100.000 Demonstranten werden vom 2. bis 8. Juni zum Gipfel bei Rostock erwartet. 16.000 Polizisten sollen an der Ostseeküste dafür sorgen, dass keiner von ihnen dem 12,5 Millionen Euro teuren Stacheldrahtzaun um Heiligendamm zu nahe kommt. Um trotzdem ihren Protest sichtbar zu machen, haben sich die Gipfelgegner einiges einfallen lassen. Dazu gehören kostenlose Open-Air-Festivals, drei große Camps, ein alternativer Gegengipfel, eigene Anwälte, Kamerateams und Sanitäter sowie hunderte Workshops, Blockaden und Demonstrationen. Um eine Infrastruktur vor Ort aufzubauen, müssen jetzt Wohnungen und Büros angemietet werden. Für die Camps werden Zelte, Strom und Wasser benötigt. Autos, Busse und Lastwagen zum Transport von Material und Demonstranten müssen bereitstehen. Anders als in vergangenen Jahren bleibt bei alledem nicht viel Zeit für Mai-Proteste in der Hauptstadt.
„Die Mobilisierung zum G-8-Gipfel ist bei uns schon lange ein zentrales Thema“, erklärt Jakob Huber von Attac Berlin. Die Proteste werden aber nicht nur von globalisierungskritischen Gruppen, sondern auch von Künstlern und Musikern unterstützt. „Seit acht Monaten sind wir mit der Planung des Kulturprogramms für die Abschlusskundgebung der Auftaktdemo in Rostock beschäftigt“, erzählt Alexandra Wix, die für die Kulturgruppe von „Move Against G 8“, ein Bündnis linker Gruppen, arbeitet. Über 100 freiwillige Helfer werden benötigt, um die Bühne aufzubauen, auf der dann Jan Delay, Kettcar und auch Berliner Künstler kostenlos für die Protestierenden auftreten werden. Die Veranstalter rechnen mit bis zu 70.000 Zuschauern.
Berliner „Action Bikes“ für Heiligendamm
Mitunter gibt es auch ungewöhnliche, aber durchaus innovative Ideen für die Gipfelaktionen. So ruft eine Aktivistengruppe dazu auf, Funkgeräte mitzubringen, um sich mit Hilfe eines eigens eingerichteten Funknetzes über die neuesten Aktionstermine informieren zu können. Eine Berliner Initiative sammelt alte Fahrräder, die als „Action Bikes“ während der Proteste für alle frei zugänglich zur Verfügung stehen sollen, um Schnelligkeit und Mobilität der Demonstranten zu ermöglichen.
Mögliche Freiheits- und Demonstrationsbeschränkungen durch die Polizei sind dabei die größte Sorge der Aktivisten. „Als Anwälte ist es unser Ziel, die Bewegungsfreiheit der Demonstranten sicherzustellen und nicht erst aktiv zu werden, wenn Personen festgenommen werden“, sagt der Berliner Rechtsanwalt Sven Richwin. Er ist einer von mehr als 100 Anwälten, die während der Gipfelproteste ehrenamtlich juristische Hilfestellung geben. Eine Woche lang tauschen die Rechtsanwälte dazu ihre Kanzleien gegen extra angemietete Büros in Rostock und Heiligendamm. Bei Einreiseverboten, Platzverweisen oder Beschlagnahmungen von Flugblättern, Transparenten und anderem Material sollen die Juristen vor Ort sein und eingreifen.
Zudem werden sie für festgenommene Gipfelgegner bereitstehen. Und davon wird es im Juni bei den größten Massenprotesten der vergangenen Jahre mit Sicherheit einige geben. Die jährlichen 1.-Mai-Demonstrationen in Kreuzberg eignen sich da allenfalls als kleine Generalprobe für die G-8-Proteste.
JOHANNES RADKE