Ab in den Alltag

Natürlich wurde Blumfelds zweites Berliner Abschiedskonzert im Postbahnhof zu einer höchst emotionalen Angelegenheit. Natürlich mehr für das allein gelassene Publikum als für die Band selbst

VON RENÉ HAMANN

Sie waren alle da. Menschen zwischen dreißig und vierzig, Menschen, deren Leben mit der ersten und zweiten Platte der Hamburger Band Blumfeld verändert oder gerettet wurde. Menschen, die den weiteren Verlauf der Karriere der Mannen um Sänger Jochen Distelmeyer wohlwollend, begeistert oder mit großer Skepsis bis hin zur letzten umstrittenen Platte, „Verbotene Früchte“ von 2006, verfolgt haben. Nun wurde für sie alle ein Kapitel abgeschlossen: Die Band Blumfeld löst sich auf, es ist vorbei, in Berlin werden sie nie wieder spielen, das ultimativ letzte Konzert wird natürlich dort stattfinden, wo alles angefangen hat, in Hamburg.

So schwebte von Anfang an eine erwartungsfrohe, emotionale Stimmung über den Köpfen im zum zweiten Termin nicht ganz ausverkauften Fritz Club im Postbahnhof. Tatsächlich nahm das Publikum die Animationsversuche Distelmeyers dankbar auf, man klatschte zum „Apfelmann“, man sang sich durch „Wir sind frei“, und bei „Tausend Tränen tief“ lag man sich schluchzend in den Armen. Eine höchst emotionale Angelegenheit, so ein Abschiedskonzert, wenn auch mehr für das Publikum als für die Band selbst. Die gab sich routiniert, ließ sich kaum etwas anmerken. Distelmeyer vertraute auf seinen Gesang, verbrauchte in den ersten sechs Stücken fünf Gitarren und entschied sich bis zu den drei Zugaben für eine akustische. So, wie er das in seiner Karriere auch gemacht hat.

Eines Tages hatte er sich nämlich für den umgekehrten Weg von dem Bob Dylans entschieden: Er tauschte seine E-Gitarren gegen eine Klampfe aus, rau-stürmische Indiesongs gegen Schlagerradiotauglichkeit, hochkomplexe Texte gegen neue Einfachheit. Statt grüblerischer Selbstreflexion tauchte ein beinahe kitschiger Weltzugriff in seinen Liedern auf; die Welt war plötzlich schön, das Leben gut, und überhaupt die Liebe so einfach und das Allerbeste. Glück macht dumm, musste man da denken. Aber hatte Distelmeyer nicht schon im frühen „Penismonolog“ gesungen: „Ich will, dass Liebe wahr wird, ich weiß, dass Liebe wahr werden kann“? Tatsächlich schien die Liebe für ihn wahr geworden zu sein. Was aber eben nicht hieß, dass ein kritischer Blick auf Gesellschaft, eine explizit politische Zeile, eine stumpf machende Trauer über die Verhältnisse ausgeschlossen bleiben musste. Im Gegenteil, besonders die vorletzte Platte „Jenseits von jedem“ zeugt davon.

Auf der Abschiedstournee kam jede der Phasen zu Ehren. Was erstaunlich viele gute Songs machte. Die älteren Stücke wurden mehrheitlich freundlich behandelt; das E-Piano von Vredeber Albrecht sorgte ebenso wie Distelmeyers Schmeichelgesang für eine ziemliche Verpoppung, die insgesamt aber okay ging. Bei den neuen Versuchen, freundlich-fröhlichen Rock ’n’ Roll zu spielen, sprang trotz aller Animation allerdings mehr als Ironie dann doch nicht heraus. Für die großen Momente sorgten die Hits; „Verstärker“ war so ein Moment, „Diktatur der Angepassten“, aber auch Grundsätzliches wie „Kommst du mit in den Alltag?“. Es gab drei Zugaben und ein blankes „Tschüss, das war’s“.

Was bedeutet nun das Ende einer lebensbegleitenden Institution? Was folgt daraus, winkt jetzt tatsächlich der Alltag, macht alles einfach weiter, als ob nichts geschehen, nichts gedacht und ausgesprochen worden wäre? Bringt Distelmeyer nun Gedichtbände heraus, startet er eine Solokarriere als einsamer Barde, oder wagt er noch mal ein gänzlich neues, anderes Projekt? Keiner weiß es. Klar ist nur: Es gibt immer noch zu viele Betten, in denen es sich unbequem und einsam liegt, und bald erscheint die neue Tocotronic. Es wird nicht die letzte sein.