Der Countdown läuft

China, Indien und Brasilien legen Wert darauf, dass die reichen Länder eine große Verantwortung für den Klimawandel tragen

AUS BANGKOK NICOLA GLASS

Die Botschaft aus Bangkok war einhellig: Den Klimawandel ist noch zu stoppen, aber es bleiben nur noch acht Jahre Zeit. Spätestens im Jahr 2015 muss der weltweite Emissionsausstoß zurückgehen. Nur so lässt sich das Ziel erreichen, bis 2050 die CO2-Emissionen um 50 bis 85 Prozent zu senken. Die Forscher des UN-Klimarates IPCC gehen davon aus, dass sich mit diesem Szenario die Erderwärmung auf beherrschbare 2 Grad begrenzen lässt.

Am Inhalt des Berichts hatten die Delegierten des „Intergovernmental Panel on Climate Change“ seit Beginn der Woche jeden Tag – und teils auch nachts – gefeilt. Erschöpft und übermüdet, aber zufrieden präsentierten sie gestern die Zusammenfassung des mehr als 1.000 Seiten umfassenden Werks.

Die zentrale Botschaft des Berichts, den der IPCC-Vorsitzende Rajendra Pachauri einleitend als „sensationell“ bezeichnete: Der Kampf gegen die globale Erwärmung ist machbar ohne immense wirtschaftliche Einschnitte. Er kostet die Staatengemeinschaft weniger als 0,1 Prozent Wirtschaftswachstum pro Jahr. „Man kann die Einnahmen der Menschen steigern und gleichzeitig die Treibhausgasemissionen reduzieren“, sagte der Co-Vorsitzende des Weltklimarats, Ogulande Davidson. Es gehe nicht um Opfer, die die Menschen bringen müsssten, sondern um Änderungen des Lebensstils.

„Abwarten und später handeln und dennoch das Klima retten zu wollen, ist als ökonomischer Blödsinn dokumentiert worden“, sagte Stephan Singer, Chef des „WWF-Europaprogramms für Klima und Energie“, der taz. Zeit sei ein Luxus, den man sich nicht leisten könne, erklärte auch IPCC-Chef Rajendra Pachauri.

Als Maßnahmen zum Schutz des Klimas empfehlen die Wissenschaftler viele bereits bestehende Technologien: den Umstieg von Kohle auf Erdgas und erneuerbare Energien wie Wasserkraft, Windkraft, Sonne und Biomasse. Der Bericht schlägt zudem eine „Multi-Gas-Strategie“ vor. Nicht nur CO2, sondern auch andere Treibhausgase wie Methan oder Lachgas sollten reduziert werden, etwa in der Landwirtschaft, wo der Methan-Ausstoß von Reis vermindert werden kann, oder in der Müllverbrennung. Auch Atomkraft wird als eine der klimafreundlichen Energiequellen aufgeführt, doch weist der Bericht gleichzeitig auf ihre Risiken hin und spricht keine Empfehlung aus.

Der Einigkeit zum Schluss ging ein handfester Streit zwischen Industrie- und Schwellenländern voraus. Es ging um die Frage: Wer ist schuld am Klimawandel? Vor allem die Chinesen bestanden darauf, dass im Bericht aufgeschlüsselt werden soll, für welchen Anteil an Treibhausgasen in der Atmosphäre die reichen Nationen seit Beginn der Industrialisierung verantwortlich zu machen sind.

Einige Delegierte monierten, China, Indien und Brasilien wollten nur erreichen, „mit ihren eigenen Emissionen aus dem Schneider“ zu sein. Andere Teilnehmer räumen ein, dass die Kritik der drei großen Schwellenländer nicht ganz unberechtigt ist: „Das Klima hat ein Gedächtnis, die Atmosphäre hat ein Gedächtnis, und CO2 hält sich mindestens einhundert Jahre in der Atmosphäre“, so Stephan Singer. Daher hätten die USA, aber auch Europa und Japan historisch gesehen mit die größte Verantwortung.

Fest steht, dass nicht alle Länder gleich viel tun können, um den CO2-Ausstoß zu verringern. Staaten, die noch stark von fossilen Brennstoffen abhängig sind, können diesen Prozess nur deutlich langsamer vorantreiben als solche, die bereits auf nachhaltige und alternative Energien umgestellt haben.

Offen bleibt zudem, ob die Empfehlungen des Klimarates auch politisch umgesetzt werden. Der IPCC-Vorsitzende zumindest gab sich optimistisch: Er glaubt, dass sein Bericht „direkte Auswirkungen“ auf die Klimakonferenz im Dezember in Bali haben wird. Bali gilt als letzte Chance, mit den Verhandlungen für ein neues Klimaabkommen nach Kioto zu beginnen.