: Die Welt mit sich selbst beglücken
Geh pimmeln: Mit den USA rechnete der Schriftsteller DBC Pierre in seinem fulminanten Debüt „Jesus von Texas“ ab. Nun, in seinem zweiten Roman, „Bunny und Blair“, kommen Großbritannien und postsowjetische Republiken dran
VON JUDITH LUIG
Eine Farce kann derb sein: als wild verquirlte Mischung aus Verwechslungen und Billigerotik. Eine Farce kann aber auch zähflüssig sein: als kleingematschte Masse aus Gemüse und Fleisch. DBC Pierres neuer Roman „Bunny und Blair“ versucht sich in beidem.
Das Überraschungsdebüt des Australiers war eine aberwitzige Irrfahrt durch die Geschichte eines Schulmassakers. Mit „Jesus von Texas“ gelang dem Autor eine brillant bösartige Satire auf Amerika und seine Medien; Pierres kruder Held Vernon wurde zu Recht in eine Reihe mit Antiheroen wie Bart Simpson, Holden Caulfield oder Eminem gestellt. Und Pierre selbst konnte man noch gleich mit draufpacken: DBC – Dirty But Clean – Pierre outete sich als geläuterter Drogenabhängiger: „Der Roman erschien mir als letzte Möglichkeit, überhaupt irgendwie Geld zu verdienen.“ Und das hat er geschafft: „Jesus von Texas“ wurde 2003 mit dem Man-Brooker-Preis ausgezeichnet und erhielt 50.000 Pfund Preisgeld.
Für seinen zweiten Roman, „Bunny und Blair“, hat sich DBC Pierre neue Jagdgründe gesucht. Die USA sind durch, jetzt kommt die Globalisierung. „Bunny und Blair“ ist eine dunkle Vision der vernetzten Welt, mit totaler Privatisierung auf der einen und einem korrupten Versorgungssystem auf der anderen Seite. Die Handlung gewinnt ihr Tempo durch den ständigen Wechsel der Schauplätze – zwischen ehemals siamesischen Zwillingen im Großstadtdschungel und einer heruntergekommenen Familiendynastie im Kaukasus.
Die Brüder Blair Albert und Gordon-Marie (Bunny) Heath hat man, nach 33 Jahren Verwachsung voneinander getrennt, aus ihrem Versorgungsheim Albion entlassen und in London ausgesetzt. Während Blair dem „Dunstkreis seines Bruders entknattert“, wird Bunny immer schwächer. Blair findet sich mitten in einer „überquellenden“ Welt wieder, in der es „vom Gerede über Freiheit, Globalisierung und Self-Empowerment nur so rüpelte“, Bunny hingegen, der „parasitäre“ Zwilling, fläzt sich wie ein abgestürzter Rockstar auf dem Küchenfußboden. Die beiden geraten in die Fänge des obskuren Lamb, der Drogen mit Wildkirschgeschmack verteilt, verworrene Beziehungen zum Innenministerium pflegt und die ganze Welt mit sich selbst beglücken will: „Wir haben eine so großartige Lebensweise entwickelt, dass man sich sowieso den Arsch aufreißt, um uns nachzuahmen.“
Die Geschichte von Bunny und Blair ist eine Abrechnung mit Großbritannien. Doch, wie schon Namen wie Blair oder Albion verraten, allzu oft eine allzu platte. Alles sei hier erlaubt, was der Verwirklichungen seiner Visionen dient, hofft Blair. Aber diese Visionen beschränken sich letztendlich auf seine männlichen Triebe. Zum Beispiel über eine Clubbekanntschaft: „Die Narben ihrer Teenager-Tragödienstadl-Phase bewirkten, dass sie nicht den Dünkel der Früherblühten entwickelt und daher gelernt hatte, das Allerweltliche zu genießen.“ Wen diese Fabulierung wahnsinnig macht, der wird im nächsten Satz aufgeklärt. „Das Allerweltliche bedeutete, dass sie seinen Schwanz in den Mund nähme.“
Bei Ludmilla, auf der anderen Seite der Welt, sieht es indes nicht viel anders aus. Der Leser lernt diese wilde Schönheit kennen, als der eigene Großvater sie gerade vergewaltigen will. In Ublilsk wechselt Pierres Stil zu einer blumig-exotischen Derbheit. „Kein Haus, in dem sich Mann oder Hund aufhalten, kann vom Saft eines Pfirsichs, wie du einer bist, unbefleckt bleiben“, informiert der aufdringliche Pilosanow, ein anderer potenzieller Vergewaltiger, wenig später Ludmilla. Auch hier wimmelt es von Jungs, die noch richtige Jungs sind – gewalttätig und einfältig. Aber anders als in London, wo man sich die Erektion synthetisch besorgen muss, gibt es hier jede Menge natürlich Erigierter.
Im schlamm- und blutgetränkten postsowjetischen Kriegschaos herrscht noch „wahre Weiblichkeit“ – entblößte Brüste, Nektarinenhintern und feuchte Slips. Hier wachsen Frauen „wie ein Rohstoff“ nach, was auch den Handel mit ihnen begünstigt.
„Mein nächstes Buch“, so hatte DBC Pierre seinem Übersetzer bei einer Lesung in Berlin versprochen, „schreibe ich auf Englisch.“ Passiert ist es nicht. „More Broken than English“, spottete die Rezensentin der Globe and Mail in Anspielung auf den Originaltitel „Ludmilla’s Broken English“. Henning Ahrens, der das Buch aus dem Pierrischen übertragen hat, trifft keine Schuld an Ausdrücken wie „Geh pimmeln“. In diesem Buch scheint niemand so einfach, dass man ihn mit einem simplen Verb fangen könnte. Man „lodert“, „grollt“, lässt Blicke „schlittern“, „feuern“ oder „schält sein Grimmgesicht aus dem Dunst“.
Es scheint fast, als habe Pierre seinem eigenen Talent nicht trauen wollen. Deswegen hat er in seinem neuen Roman alles eine Nummer größer, bombastischer, bizarrer gemacht. Und sich eifrig bei anderen bedient: ein bisschen Hoeuellebeqc, etwas Jonathan Safran Foer und vielleicht noch ein Schuss Bukowski. „Bunny und Blair“ ist eine pastöse Farce geworden. Eine, die ihr eigenes Thema erstickt.
DBC Pierre: „Bunny und Blair“. Aus dem Englischen von Henning Ahrens. Aufbau Verlag, Berlin 2007, 396 Seiten, 19,90 Euro