: Souveräne Entscheidung
Warum Köhler im Fall Klar eigentlich nichts mehr richtig machen konnte und sich dennoch achtbar aus der Affäre zieht
AUS BERLIN JENS KÖNIG
Die Mitteilung des Bundespräsidialamtes ist denkbar knapp und dennoch nicht frei von einer Überraschung: „Der Bundespräsident hat entschieden, von einem Gnadenerweis für Herrn Christian Klar abzusehen“, lautet der erste Satz. Gleich im zweiten Satz folgt der überraschende Hinweis auf den Fall Birgit Hogefeld: „Der Bundespräsident sieht sich nicht in der Lage, dem Gnadengesuch von Frau Birgit Hogefeld … derzeit zu entsprechen.“ Der Präsident werde in ihrem Fall jedoch zu gegebener Zeit erneut und von Amts wegen über das Gesuch befinden. Dann folgen wenige Sätze zur Einordnung der Klar-Entscheidung: dass Horst Köhler mehrere Stellungnahmen und ein kriminologisches Gutachten vorlagen. Dass Köhler zahlreiche Gespräche geführt hat, auch mit den Hinterbliebenen der RAF-Opfer, auch mit dem ehemaligen Terroristen Christian Klar selbst. Das war’s dann aber auch schon. Ende der Mitteilung.
Der Bundespräsident hat die bisher schwierigste Entscheidung seiner Amtszeit mit keinem einzigen Wort begründet. Horst Köhler hat nicht erklärt, seit wann ihm das Gnadengesuch Birgit Hogefelds vorliegt, das der Öffentlichkeit bislang unbekannt war. Er hat auch nicht erläutert, warum er sich „nicht in der Lage“ sieht, „derzeit“ über ihr Gnadengesuch zu entscheiden. All dieses Schweigen ist gut und richtig, so unverständlich es auf den ersten Blick auch sein mag. Die grundsätzliche Befugnis des Bundespräsidenten, im Falle von Terroristen und Spionen „Gnade vor Recht“ zu gewähren, festgehalten im Artikel 60 des Grundgesetzes, liegt nun einmal im freien und nicht überprüfbaren Ermessen des Staatsoberhauptes. Dieses Recht, soll es wirksam sein, muss sich der aufgeregten politischen Debatte geradezu entziehen.
Das kommt dem Amtsverständnis von Horst Köhler entgegen. Wenn er, der Außenseiter im politischen Betrieb, eines nicht sein will, dann das: ein Opportunist gegenüber dem politischen Betrieb. Und trotzdem hatte ihn die geradezu hysterische Debatte der letzten Wochen und Monate im Falle des ehemaligen RAF-Terroristen Christian Klar in eine Zwickmühle getrieben. Der Bundespräsident konnte eigentlich keine richtige Entscheidung mehr fällen. Die Ablehnung von Klars Gnadengesuch, so hieß es vorher, würde all jene bestätigen, die in Köhler nur den Erfüllungsgehilfen der Konservativen sehen. Die vorzeitige Freilassung Klars ausgerechnet 30 Jahre nach dem unheilvollen Deutschen Herbst von 1977 würde zu einem Aufschrei vieler Angehöriger der RAF-Opfer und des rechten Lagers führen, so wurde gemutmaßt.
Angesichts dieses ungeheuren politischen Drucks – noch am Wochenende hatte die CSU offen damit gedroht, eine Wiederwahl Köhlers im Frühjahr 2009 zu blockieren, sollte er Klar begnadigen – zieht sich der Bundespräsident achtbar aus der Affäre. Er hat, offenbar nach gründlicher, schwieriger Abwägung, eine souveräne Entscheidung getroffen. Er hatte sich zuvor durch Tausende von Akten gefressen. Er hatte, so wurde es vorige Woche im Stern kolportiert, mit RAF-Experten wie Kay Nehm, Klaus Kinkel, Antje Vollmer und Stefan Aust ebenso getroffen wie mit Angehörigen der RAF-Opfer, unter ihnen Hergard Rohwedder und Michael Buback. Und schließlich hatte sich der Bundespräsident bei einem Gespräch mit Klar am vorigen Freitag irgendwo in Süddeutschland ein persönliches Bild von dem Mann gemacht, der seit über 24 Jahren hinter Gittern sitzt.
Köhler soll dabei, so schilderten es mehrere seiner Gesprächspartner, nicht die Frage der Symbolik oder der gesellschaftlichen Versöhnung interessiert haben, sondern die menschliche Dimension des „Falles“ Christian Klar, die Frage seiner möglichen oder gar notwendigen Resozialisierung. Warum ihm der Bundespräsident die Gnade verweigert hat, wissen wir nicht. Die routinierten Reaktionen aus allen politischen Lagern (SPD: „souverän“; FDP: „klug und weise“; CSU: „in Einklang mit dem Gerechtigkeitsempfinden einer großen Mehrheit in Deutschland“) tragen zur Aufklärung diesbezüglich nichts bei.