: Ein Preis für Taishi
Der Journalistenpreis der Europäischen Kommission für Demokratie und Menschenrechte geht nach China. Dort wird man davon nichts erfahren
AUS BRÜSSEL NICOLE MESSMER
Soeben hat Leu Siew Ying den Lorenzo-Natali-Prize der EU überreicht bekommen. Niemals hätte die zurückhaltende Journalistin gedacht, dass sie für ihre Reportage über Unruhen im südchinesischen Taishi den Hauptpreis der Jury bekommen würde. Doch die Anerkennung rührt sie. Als EU-Entwicklungskommissar Louis Michel ihr den Preis überreicht, sind ihre Augen feucht. Die Anerkennung wird allerdings auf Europa beschränkt bleiben. In China, wo sie für die Hongkonger South China Morning Post berichtet, wird keine Zeitung über ihren Preis berichten. Da hilft auch ein wichtiger Preis der EU-Kommission nichts.
Leu ist klein und wirkt beinahe zerbrechlich. Dennoch ist die gebürtige Malaysierin hartnäckig. Wie hartnäckig, hat sie vor zwei Jahren bewiesen, als sie die Geschichte recherchierte, für die sie nun den mit 10.000 Euro dotierten Preis bekommen hat.
Taishi ist ein kleines Dorf etwa 45 Minuten Autofahrt von Hongkong entfernt. Trotz zahlreicher Bananenplantagen und Fabriken sind viele der Bewohner bitterarm. Zu den Unruhen kommt es, als die Bewohner ihrem Dorfvorsteher vorwerfen, in die eigenen Taschen zu wirtschaften. Sie fordern Neuwahlen – auf friedlichem Wege, mit der Hilfe von Anwälten. Die Regierung schickt mehr als 1.000 Polizisten – bei 2.000 Dorfbewohnern. Sie sollen die Bürger zwingen, eine Widerrufserklärung zu unterzeichnen, um die Neuwahlen zu verhindern. Wer nicht gehorcht, wandert ins Gefängnis. Der Ort wird abgeriegelt.
Am Ende gelingt es Leu, mit einem französischen Journalisten in das Dorf zu kommen. Doch die Leute haben Angst, nicht viele sprechen mit ihr. Sie wird von den Polizisten geschlagen und beschimpft. Trotzdem macht sie weiter, auch wenn das Interesse in China an den Unruhen in Taishi bald nachlässt: „Am Ende war ich allein in Taishi mit meiner Recherche und fühlte mich teilweise sehr einsam. Aber ich musste diese Geschichte schreiben“, erzählt Leu Siew Ying.
Die 48-Jährige mag hartnäckig sein, leichtsinnig ist sie nicht. Über das Vorgehen der Regierung will sie nicht urteilen. Ob die Ereignisse exemplarisch sind für die Situation in ganz China? Sie weicht aus: Peking sei weit weg von Hongkong. In China werden Journalisten ins Gefängnis gesteckt, wenn sie zu deutlich ihre Meinung äußern. Ob sie sich in ihrer Arbeit behindert fühle? Nein. Dann wird sie plötzlich doch deutlicher: „Die Regierung hat so hart eingegriffen, weil sie Angst hatte, die Ereignisse in Taishi könnten Anlass sein für weitere Unruhen in der Region.“ Doch das ist das Letzte, was sie dazu sagt: „Ich gehe so weit, wie es für mich sicher ist. Wenn ich tot bin, kann ich keine Geschichten mehr schreiben.“
Leus Geschichten erzählen von sozialer Ungerechtigkeit. „Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer“, sagt sie und erklärt: „Die Leute in den Dörfern protestieren: ‚Wir haben so viele Fabriken, aber wir haben kein Geld. Wir können nicht einmal unsere Kinder zur Schule schicken.‘“
Seit zwanzig Jahren arbeitet Leu als Journalistin. Angefangen hat sie in ihrer Heimat Malaysia, seit fünf Jahren schreibt sie für die South China Morning Post. 2005 hat sie bereits den dritten Platz beim Natali-Preis der Region Asien und Pazifik gemacht – mit einem Porträt über einen jungen Mann, der im Gefängnis zu Tode geprügelt wurde. Er hatte sich einem Gesetz widersetzt, das nur denjenigen erlaubt, in den großen Städten anderer Provinzen zu leben, die ein Stipendium haben. Das Gesetz wurde danach abgeschafft.
Leu wünscht sich, dass auch ihre Reportage aus Taishi positive Folgen hat: „Ich hoffe, dass die Leute dort jetzt das Recht bekommen, eine faire Wahl abzuhalten.“ Nur wie, wenn in China niemand von ihrem Preis erfährt?