crime scene
: Chefinnen im Ring: neue Kriminalromane von Sara Paretsky und Fred Vargas

Wenn ein neuer Sara-Paretsky-Roman erscheint, ist das immer noch ein Ereignis. Paretsky nimmt sich Zeit zum Schreiben, was zeigt, dass sie ihre Thriller, die immer auch Sozialstudie sind, sehr gewissenhaft recherchiert. Auch in Feuereifer gelingt es ihr, ein uns sehr fremdes Milieu lebendig werden zu lassen: das Vorortelend von South Chicago, einem heruntergekommenen ehemaligen Industriebezirk.

Privatdetektivin V. I./Vic Warshawski, die selbst dort aufgewachsen ist, springt als Basketballtrainerin in ihrer alten Highschool ein. Entsetzt nimmt sie die soziale Verwahrlosung wahr. Jungen machen Kleinkriminellenjobs, Mädchen werden im Teenageralter schwanger, die Eltern schuften für Hungerlöhne. Durch die Basketballmädchen lässt V. I. sich hineinziehen in die Probleme des Bezirks und landet nur allzu bald mit einem verkohlten Fensterrahmen in der Schulter im Krankenhaus. Das ist Vic Warshawski, wie man sie kennt. Unter Aufbietung aller physischen Reserven tritt sie auch diesmal bedenkenlos dazwischen und deckt dabei eine finstere Wirtschaftsintrige auf. Genau das erwarten wir ja auch von ihr.

Und genau das wird allmählich zum Problem. Denn mittlerweile wagt es die Autorin nicht mehr, ihrer Hauptfigur dieselbe realistische Anteilnahme zuteil werden zu lassen wie dem Milieu, in dem sie sich bewähren muss. Wäre es V. I. erlaubt, mit ihren Abenteuern zu altern, so müsste sie wohl schon über fünfzig sein. Einer Frau (oder einem Mann) dieses Alters aber wären die aberwitzigen körperlichen Stunts, die für einen Paretsky-Roman unverzichtbar sind, kaum zuzutrauen. Ängste vor dem Älter- und Schlafferwerden, die V. I. in früheren Romanen umtrieben (als sie Ende dreißig war) und gegen die sie mit einem strikten Sportprogramm verbissen ankämpfen durfte, werden nicht mehr angesprochen. So bringt die sechzigjährige Autorin ihre temperamentvolle Detektivin um einen wichtigen Teil ihrer Persönlichkeit und schwächt die Glaubwürdigkeit der Figur erheblich. Wo jedoch die Identifikation mit der alterslosen Heldin nachlässt, fällt die mangelnde Raffinesse der Handlung, die nach stets ähnlichem Schema abläuft, um so schwerer ins Gewicht.

Ähnliche Verschleißerscheinungen sind bei Fred Vargas, die mit „Die dritte Jungfrau“ immerhin schon ihren zehnten Roman geschrieben hat, absolut nicht zu bemerken. Wenn man wollte, könnte man unter rein krimitechnischem Aspekt wahrscheinlich auch dieser Autorin gewisse Schwächen unterstellen. Etwa, dass die entscheidenden Wendungen in ihren Fällen fast immer auf genialischen Eingebungen ihres verträumten Kommissars Adamsberg beruhen. Man könnte das für plump halten. Aber in Wahrheit beruhen diese genretypisch entscheidenden Momente ja wirklich nur auf genialischen Eingebungen des Autors/der Autorin und müssen je nach Subgenre von den Helden mit deduktionistischer Scharfsinnigkeit oder kleinteiliger Recherche nachvollzogen werden. Vargas kann sich das sparen, weil sie als eine der ganz wenigen in der Lage ist, eine Figur literarisch lebendig werden zu lassen, der man die Eingebung nicht nur abnimmt, sondern von der man sie geradezu erwartet.

Dabei ist es nicht einmal besondere psychologische Tiefenschärfe, die Vargas’ Charaktere auszeichnet. Es ist eher ein sehr konsequentes, in sich geschlossenes System der literarischen Typisierung, das die Glaubwürdigkeit der Figuren nicht im Verhältnis zur außerliterarischen Wirklichkeit entwickelt, sondern sich nur auf den eigenen Maßstab bezieht.

Gut, und was soll das heißen? Ein Vargas-Roman lässt sich nicht nacherzählen. Muss man selbst lesen.

KATHARINA GRANZIN

Sara Paretsky: „Feuereifer“. Aus dem Englischen von Sybille Schmidt. Goldmann Verlag, München 2007, 446 Seiten, 19,95 Euro Fred Vargas: „Die dritte Jungfrau“. Aus dem Französischen von Julia Schoch. Aufbau-Verlag, Berlin 2007, 474 Seiten, 19,95 Euro